Im Buch “Mutproben“ verbindet Ole von Beust politische Positionen mit seiner Autobiografie. Das Abendblatt druckt Auszüge (Teil 4)

2008 war einfach die Zeit reif für Schwarz-Grün. Die Wählergruppen waren im Laufe der Jahre sehr ähnlich geworden. Beide sprachen wir die bürgerliche Mitte an. Wenn die Großeltern noch CDU gewählt hatten, so machten die Enkel ihr Kreuzchen bei den Grünen. Letztlich war das in meinen Augen eine recht homogene Gesellschaftsschicht. Vor allem war es für die CDU damals wichtig, vom Image einer reinen Law-and-order- und Wirtschaftspartei auch mit Begriffen wie Nachhaltigkeit und Generationenverantwortung verbunden zu werden. Unabhängig von Hamburg war diese Öffnung strategisch wichtig, um Ökonomie mit Ökologie zu vereinen.

Was im Privaten vielleicht nicht gerade ratsam ist, das wird für eine Partei und im Beruf überlebenswichtig: Man muss sich Optionen offen halten. Wer alles auf eine Karte setzt, der geht letztlich ein zu hohes Risiko ein und macht sich angreifbar. Für die CDU bedeutete das ganz klar, sich neben der FDP noch eine zweite Tür offen zu halten.

Was im ersten - noch nicht ganz so ernst gemeinten - Anlauf scheiterte, das wurde von der CDU auf dem Parteitag 2008 einstimmig beschlossen: die Bereitschaft zur Koalition mit den Grünen. Allerdings galt auf Bundesebene weiter die Doktrin, dass hier eine Koalition mit den Grünen nicht infrage käme. Nur: Wenn alle wissen, dass es eine Option ist, ist es doch absurd, diese Option kategorisch auszuschließen.

Es wäre vielleicht eine Frage des Mutes gewesen, auch auf Bundesebene die Chance sich klar dazu zu bekennen. Tatsächlich aber wollte man die eigenen Leute nicht verschrecken und intern keinen Ärger anzetteln. Ich finde es klüger, niemals nie zu sagen, insbesondere, wenn eine Wahl ansteht. Anschließend fehlen dann nämlich die Optionen, die man insgeheim nutzen wollte, sich aber öffentlich nicht getraut hatte, das zu sagen. Ich habe das kurz vor der Wahl 2008 erlebt: Im Januar traf sich das CDU-Präsidium zu einer Klausurtagung. Die Wahlen in Hessen und Hamburg standen bevor, die Spitzenkandidaten sollten berichten. Ich nannte mein Wahlziel: Verteidigung der absoluten Mehrheit. Aber ich stellte auch, falls dies nicht gelingt, die schwarz-grüne Möglichkeit als die wahrscheinlichste dar. Spontan nahmen es alle Präsidiumsmitglieder hin. Doch schon am nächsten Tag wurde öffentlich beherzt dementiert mit der Begründung, man wolle die eigenen Leute nicht verunsichern. Ehrlicher und praktischer wäre es doch, die Karten auf den Tisch zu packen. Insbesondere, wenn es die Spatzen ohnehin von den Dächern pfeifen.

Bereits während der ersten Verhandlungsgespräche zur gemeinsamen Koalition spürte ich, dass es die richtige Wahl gewesen war, diese Koalition mit ins Spiel zu bringen. Die Grünen waren mir auf Anhieb sympathisch. Es waren zum Gutteil idealistische Leute, die - zunächst unabhängig vom Inhalt - stark an Politik interessiert waren. Eigentlich sollte man ja meinen, das gelte für jeden Politiker. In der Politik habe ich oft Menschen erlebt, die ihren Beruf als Instrumentarium der Inszenierung nutzen, als Mittel des Machterhalts, des Geldverdienens, des Dabeiseins. Viele sind an den Begleiterscheinungen mehr interessiert als an der eigentlichen Aufgabe. Die großen Parteien etwa, wie SPD und CDU, sind generell sehr machterprobte Parteien, in denen der Machterhalt, für den auch ich optiere, eine größere Rolle spielt als politische Themen. Bei den Grünen war das - zumindest in Hamburg - anders. Da saßen Menschen, die sich ernsthaft für die Politik interessierten, wenngleich ich anderer Meinung war als sie.

Ihr Idealismus war ansteckend und erfrischend. Man sah "noch das Leuchten in ihren Augen", was durchaus nerven konnte, was ich aber auch bewunderte. Ich bemerkte an mir, dass ich selbst mit den Jahren dieses Leuchten verloren hatte. Politik war für mich weitgehend Routine geworden. Ich versuchte Kompromisse immer schon zu antizipieren, um unnötige Debatten zu vermeiden und dem lästigen Gerangel aus dem Weg zu gehen. Um Zeit zu gewinnen. Und vielleicht war es auch eine gewisse Abgebrühtheit, die ich mir angeeignet hatte. Bei einem Teil der Grünen hingegen war die Freude am Debattieren noch sehr lebendig. Und irgendwie übertrug sich diese neue Begeisterung auf unsere Koalitionsverhandlungen.

Wegen meiner Sympathien für die Grünen wurde mir teilweise etwas Chamäleonhaftes nachgesagt. Erst Schill, dann die Grünen, das sähe doch alles sehr machtopportunistisch aus. Natürlich, in der Politik geht es um Macht! Doch die Relevanz von Themen hatte sich ebenso geändert. Die gesellschaftlichen Diskussionen waren andere geworden.

Ole von Beust: "Mutproben. Ein Plädoyer für Ehrlichkeit und Konsequenz" erscheint am 17.4. im Gütersloher Verlagshaus und kostet 19,99 Euro

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