Im Buch “Mutproben“ verbindet Ole von Beust politische Positionen mit seiner Autobiografie. Das Abendblatt druckt Auszüge (Teil 3)

Macht ist für viele Menschen etwas sehr Verlockendes. Und wenn sie selbst keine Macht haben, halten sie sich häufig doch gern im Dunstkreis derjenigen auf, von denen sie meinen, dass sie mächtig seien. Nicht unbedingt, weil sie konkret vom vermeintlich Mächtigen etwas wollen, sondern oftmals lediglich, um von dessen gesellschaftlichem Glanz etwas abzubekommen. In der Werbung nennt man diesen Vorgang Imagetransfer.

Bevor ich ins Amt kam, gab es viele Leute aus dem kulturellen und wirtschaftlichen Sektor, die mich kaum beachteten. Solange ich der Opposition angehörte, war ich schlichtweg uninteressant für sie. Doch kaum hatte ich das Amt des Bürgermeisters inne, da umschwärmten dieselben Leute mich mit den plattesten Komplimenten: "Mein Lieber, wir haben schon immer gewusst, dass Sie so großartige Reden halten können!" oder: "Wenn wir Sie nicht hätten, meine Frau und ich, wir lieben Sie so sehr!" Ich gebe zu: Am Anfang war das ganz nett für mich. Es schmeichelt ja jedem, wenn er Zuspruch bekommt. Aber solche Komplimente nutzen sich mit der Zeit auch erheblich ab. Einige dieser Leute vollführen nun dasselbe Schmierentheater bei Olaf Scholz, und vermutlich haben Sie es auch schon bei meinem Vorgänger Henning Voscherau getan.

Es ist ein psychologisches Phänomen. Übrigens eines, das unsere gesamte Gesellschaft kennzeichnet. Heute dreht sich Vieles um Status, viele bemessen Werte nur noch in materiellen Einheiten. Und die Eitelkeit und Sehnsucht, irgendwie dabei sein zu wollen, ist schon ziemlich präsent.

In Hamburg haben wir einmal im Jahr ein großes gesetztes Essen im Rathaus, das Matthiae-Mahl. Angeblich ist es sogar das älteste heute noch begangene Festmahl der Welt. Wir haben zu meiner Zeit eingeführt, dass nicht immer dieselben Leute eingeladen werden, sondern dass die Gästeliste von Jahr zu Jahr neu erstellt wird. Die Gäste sollten künftig ihren Funktionen nach ausgewählt werden, nicht wegen ihres Namens. Ein rollierendes System also, das keinen aus Gewohnheit nur bevorzugt. Als wir dies durchsetzten und Leute, die im Vorjahr noch auf der Liste gestanden hatten, im darauffolgenden nicht mehr eingeladen waren, brach die Hölle los. Ehefrauen riefen in der Staatskanzlei an, der Mann habe die Einladung wohl verlegt oder der Brief sei in der Post untergegangen, ob man ihnen denn eine neue zukommen lassen könnte. Dabei waren sie überhaupt nicht mehr eingeladen. Meist wurde dann so getan, als wäre man gar nicht erpicht darauf, man wisse ja nicht mal, ob man an diesem Tag überhaupt Zeit fände, die Veranstaltung aufzusuchen. Aber es wäre doch freundlich - und deshalb auch nur der Anruf! -, wenn die Einladung noch einmal verschickt werden könnte, der Vollständigkeit halber.

Ich fand das alles doch sehr skurril. Dieses Ereignis ist zwar nett, und beim ersten Mal ist es auch wirklich schön, dabei zu sein. Aber jährlich ist es dann doch immer irgendwie dasselbe. Trotzdem hatten die Leute den Drang, unbedingt dabei sein zu müssen. Sobald sie eingeladen waren, fühlten sie sich der Hautevolee zugehörig und unsagbar wichtig. Der unmittelbare Nutzen ist dabei zwar gering, aber um sie herum sehen die anderen: Aha, der und der gehört also auch "dazu". Eine elitäre Art zu denken.

Ich erinnere mich noch an das Theater mit einem Vorstandsvorsitzenden eines sehr großen Unternehmens. Auch er war in dem Jahr eingeladen zum Matthiae-Mahl, und wie alle anderen Gäste sollte er zu Fuß ins Rathaus kommen. Doch da begannen die Probleme. Sein Stab rief bei uns im Büro an und meinte, der Vorsitzende könne nicht zu Fuß kommen, er wolle mit seinem Chauffeur direkt vorfahren. Also erklärten wir der Assistentin, dass es ausgeschlossen sei, dass ein Gast vor das Rathaus fahre, das sei nur Staatsoberhäuptern gestattet und einmal im Jahr dem Konsularischen Korps der Stadt, als besondere Höflichkeit. Daraufhin erwiderte die Assistentin, es sei für ihren Chef aber selbstverständlich, vorfahren zu können, das würde so erwartet von den Gastgebern. Immerhin wäre es ja auch so, dass der Umsatz des Unternehmens weitaus größer sei als der Haushalt mancher Staaten.

Wir haben uns darauf nicht eingelassen. Der Stab hat zwar geschäumt vor Wut, weil ihr Chef nicht vorfahren durfte, aber der Vorstandsvorsitzende ist wie alle anderen Gäste zu Fuß ins Rathaus gekommen. Geschadet hat es ihm sicher nicht.

Ole von Beust: "Mutproben. Ein Plädoyer für Ehrlichkeit und Konsequenz" erscheint am 17.4. im Gütersloher Verlagshaus und kostet 19,99 Euro

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