Das Einreiseverbot für Günter Grass überdeckt viele Fragen

Seit mehr als einem Jahr tobt in Israel die Debatte, ob man das iranische Nuklearprogramm mit einem Militärschlag zerstören sollte. Die einen drängen darauf, die anderen bezeichnen eine solche Option als selbstmörderisch. Nirgendwo werden Israel und seine Regierung so hart und vielschichtig kritisiert wie in Israel.

Deshalb ist es erstaunlich, mit welch pompöser Rhetorik Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf Günter Grass' Gedicht reagierte. Gleich fünfmal reihte er "Der Iran, nicht Israel ..." aneinander, um zu betonen, wer der Böse und wer der Gute ist. Genauso überzogen wirkt das Einreiseverbot, das Innenminister Eli Jischai gegen Grass ausgesprochen hat. Wenn ähnliche Reaktionen alle israelischen Kritiker träfen und etwa mit Ausreise bestraften, wäre es schon ziemlich leer um die Regierung geworden.

An Israels Grass-Kritik ist verständlich, dass man auf Worte wie "Maulheld" (für Irans Präsidenten) empfindlicher reagiert. Ein "Maulheld" aus Braunau hat schließlich den Vernichtungsfeldzug des Zweiten Weltkriegs gestartet. Aber der Holocaust ist keine Antwort auf alles. Die Reaktion der israelischen Regierung klingt so, als sei ein ungeheurer Affront aus den Tiefen schwarzbrauner Sümpfe passiert - und damit erweist sie sich als Abwehrmanöver. Sie muss dann nämlich nicht differenziertere Fragen beantworten, die sich auch aus der Gedicht-Diskussion ergeben: etwa die Frage nach Israels Atompotenzial, das keiner kennt, oder die Frage nach möglichen Alternativen zu einem Militärschlag.

Ganz offenkundig ist Israels Regierung hochnervös. Von außen wird sie heftig angegriffen für die Vereisung des Friedensprozesses mit den Palästinensern. Die Zukunft unmittelbarer Nachbarn wie Syrien und Ägypten ist ungewiss. In Israel selbst gerät Netanjahus Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik ins Kreuzfeuer. Fast kann er sich bei Grass bedanken: Ein mit Übertreibungen gespicktes Gedicht macht es leicht, mit gleicher Münze heimzuzahlen und dabei den Rest zu vernebeln.