In seinem Buch “Mutproben“ verbindet Ole von Beust politische Positionen und Autobiografie. Das Abendblatt druckt Auszüge (Teil 2)

Generell fehlen die Köpfe, die sich nach vorne wagen und klar und deutlich Position für Europa beziehen. Es fehlt mir das klare Bekenntnis zu den "Vereinigten Staaten von Europa". Kürzlich war ich in München auf dem siebzigsten Geburtstag von Edmund Stoiber eingeladen. Als Ministerpräsident pflegte Stoiber immer einen zarten Vorbehalt gegen Europa und schimpfte gerne auf die europäischen Bürokraten. Heute ist er Entbürokratisierungsbeauftragter in Brüssel. Und ein glaubwürdiger Streiter für die europäische Sache. Bei seiner Festrede schwärmte er richtig für Europa. An Stoiber habe ich gemerkt, dass der Funke also doch noch zünden kann.

Allerdings müssten auch führende Spitzenpolitiker und Regierungschefs klarer zu Europa stehen. Man braucht Personen, die sich auch emotional bekennen. Leider ist die Kanzlerin eben ein eher nüchterner, öffentlich wenig emotionaler Mensch, und keiner sollte sich verbiegen oder schauspielern.

Vor allem wir Deutschen wehren uns aktuell besonders gegen die Einführung von Eurobonds. Eurobonds sind europäische Staatsanleihen, die vor allem uns Deutsche viel Geld kosten würden. Unser Argument dagegen ist derzeit also, dass wir für etwas haften müssten, was andere Länder verschuldet haben. Aber auch in Deutschland haben wir einen Länderfinanzausgleich. Wenn das Saarland also Geld braucht und Hamburg oder Bayern dafür in die Tasche greifen müssen, dann ist doch klar, dass die Landesregierungen mit den Zähnen knirschen. Doch weil wir ein Land sind und die Solidarität als oberste Priorität ansehen, stellen wir dieses System letztlich nicht infrage, sondern tun unsere Pflicht. Warum also sollte Gleiches nicht auch innerhalb Europas gelten? Wenn wir uns als Europäer verstehen und Europa als Projekt nicht scheitern soll, dann müssen wir bereit sein, für jene, die in finanzieller Not sind, einzustehen. Wir brauchen eine Art Länderfinanzausgleich, eine Transferunion, und dazu gehören auch die Eurobonds.

Es ist richtig, dass man verbindliche Sanktionen fordert gegen jene, die über ihre Verhältnisse gelebt haben. Aber das Gemeinsame, die Föderation, die Hilfsbereitschaft, das alles sind Dinge, die trotz aller Probleme nie in den Hintergrund treten dürfen. Derzeit versucht jede Regierung in Europa, ihre Interessen durchzubringen. Keiner möchte zu viel tun, nur mühsam lassen sich Kompromisse abringen - ein weiteres Zeichen dafür, dass derzeit keiner so richtig an die europäische Sache glaubt. Es fehlen wirklich laute Stimmen, die sagen: Europa ist eine Idee, für die es sich zu kämpfen lohnt. Obwohl wir als Deutsche momentan Opfer bringen müssen, ökonomische Opfer, stehen dem gegenüber doch unendlich viele Vorteile, ökonomische wie kulturelle Vorteile, die sich langfristig im Wettbewerb mit Asien und den USA auszahlen werden. Wir sollten verstehen, dass wir in Dekaden denken müssen, nicht von Jahr zu Jahr und von Krise zu Krise. Man mag mir vorwerfen, ich sei ein Träumer, aber zur Zeit sind uns in Europa die Träume abhanden gekommen. Wir könnten wieder welche gebrauchen!

Vor allem aber müssen wir aufpassen, dass wir mit einem Europa-Skeptizismus keine Front einer Intoleranz errichten. Ich sehe die Gefahr, dass ein intelligenter Nationalpopulist bei uns derzeit gute Chancen hätte, aus dem Stand 20 bis 25 Prozent der Wählerstimmen zu gewinnen. In dem Moment, in dem sich die Finanzkrise in Deutschland unmittelbar auswirkt, wenn etwa die Industrie nicht mehr so stark exportieren kann wie zuvor, wenn aufgrund der Staatsverschuldung die Inflation steigt und die ersten Lebensversicherungen nicht mehr ausgezahlt werden können, weil das Garantieversprechen platzt, in dem Moment, in dem die erste Bank pleite geht und die Menschen wirklich um ihre Spareinlage fürchten müssen, in diesem Moment wird ein Rechtspopulist hier auf enormen Zuspruch stoßen.

Und die Reaktion darauf wird nicht sein, dass die anderen Parteien dagegenhalten, sondern dass sie ihrerseits nun noch eurokritischere Töne anstimmen, um die Wähler abzufischen. Ganz so, wie man es bei der Sarrazin-Debatte und dem Thema Integration beobachten konnte. Ich bin kein Zweckpessimist, doch ich sehe die Gefahr sehr deutlich. Und wenn wir an diesen Punkt kommen, dann explodiert die Lage. Die Chancen stehen fifty-fifty. »Europa« steht auf Messers Schneide. In den nächsten fünf Jahren wird sich entscheiden, ob dieses Projekt eine Zukunft hat.

Ole von Beust: "Mutproben. Ein Plädoyer für Ehrlichkeit und Konsequenz" erscheint am 17.4. im Gütersloher Verlagshaus und kostet 19,99 Euro

Morgen lesen Sie Teil 3: Über die Eitelkeit der Hamburger