Wer am Ostersonntag noch vor Sonnenaufgang einen der Frühgottesdienste besucht, erlebt eine einzigartige Atmosphäre. Er betritt eine noch dunkle Kirche und braucht eine Weile, um sich zu orientieren. Es ist geheimnisvoll still, der Duft von Kerzen liegt in der Luft. Man nimmt Platz in der noch leeren Kirchenbank und wartet. Es kommen nur wenige Besucher in dieser Morgenstunde, so wie damals in der Nacht nach Jesu Tod.

Als man ihn folterte und ans Kreuz nagelte, war die Zahl der Schaulustigen noch groß. Mit Spott und Hohn überschütteten sie den Gekreuzigten - bis er seufzte und starb. Dann leerte sich der Schauplatz, nur ein paar Frauen blieben und schauten von ferne zu, bis Jesu Leichnam ins Grab gelegt wurde. Über die Jüngerinnen und Jünger legte sich jene tiefe Traurigkeit, die jedem Trauernden vertraut ist. Ohnmächtig, verlassen, fassungslos und stumm - so bleiben wir zurück und fragen uns "Warum?". Grabesstille liegt über dem Sonnabend - bis zum Sonntagmorgen, als die drei Jüngerinnen das leere Grab Jesu entdecken. Staunend hören sie von seiner Auferstehung, und ganz allmählich dämmert ihnen, dass hier ein Wunder geschieht.

Nur allmählich lichtet sich auch die Dunkelheit am Ostermorgen in der Kirche. Nach und nach verzieht sich der Schleier der traurigen Nacht. Das erste Morgenlicht fällt durch die hohen Chorfenster, die Kirchturmuhr schlägt, und in die Stille hinein erschallt ein Ruf: "Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden, Halleluja!" Auf diesen Moment haben alle gewartet, die Besucher erheben sich von ihren Bänken, Kerzen werden herumgereicht und entzündet, und die Orgel vertont den Jubel des Ostermorgens: Niemand muss den Tod mehr fürchten, seine Macht ist gebrochen. Der Tod ist tot, es lebe das Leben!

Erklären kann man dieses Geschehen nicht, denn es ist größer als menschliche Vernunft. Aber man kann es erleben, so wie der Theologe Dietrich Bonhoeffer dichtete: "Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag."

Pröpstin und Hauptpastorin murmann@katharinen-hamburg.de