Vor 50 Jahren erfüllte der Star-Club die Sehnsucht nach Rock 'n' Roll. Er bestimmte das Tempo in der Großen Freiheit - und weit über die Stadt hinaus.

Hamburg. Als am 4. November 1956 in Ungarn der Volksaufstand gegen einrückende sowjetische Truppen beginnt, skandieren auch in Hamburg aufgebrachte Jugendliche auf der Straße Bei den Kirchhöfen "Die Straße gehört uns!" und kippen Autos um. Dabei ahnen die "Halbstarken" gar nichts von der Lage in Ungarn. Sie leben nur eine neue, unbekannte Energie aus, die das "Erste Hamburger Rock-'n'-Roll-Turnier" in der Ernst-Merck-Halle geweckt hat. Zwei Jahre später gastiert dort Bill Haley, und der Tanz geht weiter: Prügeleien, berstende Scheiben und "Rock Around The Clock", bis Tränengas die Gassen leer fegt. Von da an verwahren sich die Behörden gegen "Rock-'n'-Roll-Veranstaltungen". Elvis Presley darf nicht kommen, die Hansestadt gehört wieder den Jazzern, und die schauen mit Abscheu auf "die kurze Modeerscheinung" herab.

Die Rockfans aber bilden geheime Zirkel, die überall auftauchen, wo es was zu hören gibt, zum Beispiel The Jets mit ihrem Gitarristen Tony Sheridan oder Derry & The Seniors, The Beatles oder Rory Storm & The Hurricanes. Die spielen 1959 und 1960 mit wilden Shows und pfeifenden 30-Watt-Verstärkern in den neuen Kiezklubs Kaiserkeller und Top Ten die Songs von Chuck Berry und Buddy Holly nach. Unbemerkt von Öffentlichkeit und Medien, aber heiß geliebt von Jugendlichen, die sich auf den Kiez schleichen.

"Wir waren ausgehungert", erzählt Frank Dostal, heute 66. Der Hamburger Musikproduzent ist Anfang der 60er wie viele Teenager auf der Suche nach seiner Bestimmung, bis eine Little-Richard-Schallplatte sein Leben verändert. "Ich wusste: Neben den Jazz- und Studentenkneipen gab es noch etwas Geheimnisvolles, wo diese Musik gespielt wurde. Das waren verschworene Gemeinschaften, und wer nicht dazugehörte, bekam schnell einen Tritt zur Tür raus." Dostal darf bleiben und wird Rocksänger.

Die Reeperbahn ist damals ein Sammelbecken für junge Menschen, die etwas haben wollen, was nur ihnen gehört: Rock 'n' Roll. Und der Star-Club wird dieses Potenzial am besten nutzen. Dabei beginnt alles ausgerechnet mit einem behördlich geförderten Zufall. Der gelernte Dortmunder Elektriker Manfred Weissleder heuert Mitte der 50er-Jahre als Techniker in einem Kiez-Nachtklub an und klettert, seinem Ehrgeiz und Pioniergeist sei Dank, im Rotlichtviertel schnell die Karriereleiter nach oben. 1962 gehören ihm bereits gut ein Dutzend Striplokale, Erotikkinos und der Paradieshof mit mehreren Lokalen. Da diesem Bereich ein vorgeschriebener Notausgang fehlt, übernimmt Weissleder am 2. Februar als Provisorium das Stern-Kino in der Großen Freiheit 39. Horst Fascher, im Streit gegangener Geschäftsführer des Top Ten, überredet Weissleder, aus dem Kinosaal einen Musikklub zu machen.

So wird das Stern-Kino zum Star-Club, und Fascher wird sein Geschäftsführer. Der ehemalige Boxer mit besten Kontakten nach England weiß, wo und wie die Musik spielt. Der Konkurrenz werden ihre Zugpferde Tony Sheridan, The Beatles und Roy Young abgeworben. Young, der "englische Little Richard", wird mit Fascher nach England geschickt, um internationale Stars zu buchen. Ray Charles, Chubby Checker, Little Richard, Chuck Berry, Fats Domino, Gene Vincent oder Jerry Lee Lewis haben (bis auf Ray) ihren Zenit überschritten, in Hamburg aber sollen sie einschlagen wie eine Bombe.

Am Freitag, dem 13. April 1962, hat die Not für Hamburgs Rocker ein Ende. "Die Zeit der Dorfmusik ist vorbei", verkünden Plakate für die "Rock 'n' Twist-Parade 1962": The Beatles, Roy Young, Tex Roberg & The Graduates und The Bachelors machen den Anfang und spielen im stündlichen Wechsel. Schnell beginnt der Star-Club, sein Konzept erfolgreich zu etablieren. Die Beatles oder Gerry & The Pacemakers spielen gleich mehrere Wochen lang, Bands wie King Size Taylor & The Dominoes entwickeln sich sogar zu "Resident Bands"; sie bilden über Jahre das Rückgrat der Nächte, entweder im "Beiprogramm", wie es auf den Eintrittskarten heißt, oder als Hauptband, wenn gerade kein Topstar aufspielt. Was anfangs selten der Fall ist.

Weissleder ist ein cleverer Marketingstratege. Bill Haley, Little Richard, Ray Charles, Jerry Lee Lewis, Bo Diddley oder Fats Domino füllen trotz ausverkaufter Shows nicht die Kassen, aber sie stillen den riesigen Nachholbedarf. Das spricht sich herum. Touristen erzählen von heißen Tanzabenden, Bands von guten Gagen, professionellen Bedingungen und der besonderen Atmosphäre auf St. Pauli.

"Wenn du in den Star-Club gingst, wolltest du unbedingt einer von denen auf der Bühne sein", erzählt Dostal von der einmaligen Stimmung bei den Konzerten. Er ist einer von Tausenden angehenden deutschen Musikern, die Achim Reichel oder Kuno Dreysse oder Ulf Krüger heißen und die es auch mal in den Star-Club schaffen wollen, und sei es bei einem Talentwettbewerb. The Rattles, The Rivets, William Thornton & The Chicago Sect oder Faces sind ihre Bands.

Auch in England wird der Star-Club zum Magneten für Newcomer/innen. Etwa die Liverbirds aus Liverpool, eine der ersten reinen Girl-Rockbands überhaupt, sie gründen sich 1962 nach einem Beatles-Konzert im Cavern-Club. "Wir waren 16, sehr naiv und kauften uns von unseren ersten Gehältern auf Raten drei Gitarren und ein Schlagzeug, ohne überhaupt spielen zu können", sagt Liverbirds-Bassistin Mary McGlory, die noch heute in Hamburg lebt. Als sie so weit sind, ist Liverpool längst Star-Club-Hauptlieferant.

In Zeitungsanzeigen sucht der Klub nach Bands, und Weissleders Agenten laden vor Ort zu Vorspielterminen ein. Die Liverbirds bewähren sich dort und werden von Juli 1964 an vier Jahre zu einer Star-Club-Hausmarke. Wenn sie am Ende eines Sets Barrett Strongs "Money" spielen, ernten sie Geldscheine von den Jungs und böse Blicke von den Mädchen im Publikum. Bis Barfrau Bettina Derlin eines Abends begeistert die Lampions zum Schaukeln bringt - der inoffizielle Star-Club-Adelstitel des Personals.

Dort gilt alles der Musik und den Musikern. Wer sich nicht benimmt, wird schnell von Rausschmeißern, die in den umliegenden Boxkellern rekrutiert werden, vor die Tür gesetzt oder verdroschen. 90-mal muss die Polizei allein 1963 anrücken, um Schlägereien aufzulösen. Umso strenger pocht Weissleder, in permanente Kleinkriege mit den Behörden verwickelt, auf Disziplin. Musikern, die zu spät kommen oder zu betrunken sind, wird die Gage gekürzt. Dennoch verliert Weissleder im Sommer 1964 die Konzession, und Horst Fascher landet nach mehreren Handgemengen hinter Gittern.

Elektromonteur Hans Bunkenburg wird neuer Geschäftsführer. Es sind die ersten Rückschläge für das Imperium, das unbeirrt weiterwachsen will. Es gibt T-Shirts, Umhängetaschen und Poster, das Magazin "Star-Club News", ein Plattenlabel und lizenzierte Star-Club-Ableger von Kiel bis Mombasa. Doch die Musikwelt ändert sich rasant. Die Beatles werden nach ihrem finalen Star-Club-Gastspiel im Dezember 1962 Weltstars. Aus Rock, Twist und Beat wird das kommerzialisierte Massenphänomen Pop. Allmählich werden Konzerte auf der Höhe der Zeit selten, sie sind zu teuer. Im Februar 1967 kommen Cream, im März Jimi Hendrix, auch Star-Club-Lieblinge wie die V.I.P.'s (die Keimzelle von Spooky Tooth) huldigen schon 1965 neuen, progressiven Sounds. Die alte Garde gibt auf. Und die Jugendlichen gehen ins neue Gruenspan wenige Meter weiter: Discos sind angesagter als Livemusik.

Anfang 1969 sucht Weissleder wieder neue Pächter für den verblassten Stern. Ein Trio wagt es: Kuno Dreysse spielt im Star-Club mit den Rivets, Frank Dostal lernt dort Mary McGlory von den Liverbirds kennen und lieben (sie sind bis heute verheiratet), und Achim Reichel steigt mit den Rattles zu Deutschlands bester Beat-Band auf. Und da Dostal und Reichel mit ihrer neuen Band Wonderland gut verdienen, wollen sie den Star-Club retten. "Wir buchten The Move, Nice, Taste, Yes, Colosseum, Earth und Spooky Tooth", erzählt Dostal. "Aber eines Tages kam die Putzfrau und fragte nach neuem Klopapier. Wir wussten nicht, woher das vorher kam. Wir waren total überfordert."

Schnell sind Nerven und Kapital aufgebraucht. Am 31. Dezember 1969 spielen Hardin & York den letzten Akkord, dann wird der Star-Club von René Durand in das Sex-Kabarett Salambo umgewandelt. Im Februar 1983 brennt das Gebäude nieder und wird 1986, sechs Jahre nach Manfred Weissleders Tod, für einen Neubau abgerissen.

Star-Club-Fotograf Günter Zint initiiert einen Gedenkstein, der bis heute an der Großen Freiheit 39 steht. The Beatles, The Liverbirds, Ray Charles, Bill Haley, Jimi Hendrix und viele weitere sind dort eingraviert. Nur The Who werden wieder entfernt. Sie haben nie im Star-Club gespielt. Aber sie hätten es bestimmt gern getan.