Forschen und heilen: Professor Reinhard Schneppenheim leitet die Kinderkrebsklinik des UKE. Verschlungene Wege führten ihn ans UKE.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für diese Stadt leisten, als Vorbilder gelten.Folge 34: Professor Reinhard Schneppenheim. Er bekam den roten Faden von Heinz Wings, dem Vorstandsvorsitzenden der Sparda-Bank Hamburg.

Es gibt Menschen, dieerzeugen grundsätzlich große Bugwellen. Professor Reinhard Schneppenheim ist anders - leise, zurückhaltend. Trotz eines wahrhaft Ehrfurcht gebietenden Titels:Direktor der Klinik und Poliklinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie. Das heißt, er leitet die Kinderkrebsklinik am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). Sein Fachgebiet rührt heftige Gefühle auf, bei den betroffenen Kindern, fast noch mehr bei ihren Eltern und bei allen, die sich damit beschäftigen. Doch Schneppenheim ist ein ruhiger, ein bedächtiger Erzähler, wenig auf Effekt bedacht, er redet informativ, vertrauenerweckend und beruhigend.

Sein Büro hat er im Haus N21, hinter dem UKE-Neubau. An den Wänden hängen große Fotos - Schnee- und Eislandschaften. Und an einer Pinnwand Fotos und Weihnachtsgrüße von jungen Patienten. N21 ist ein zweistöckiges Haus, dessen drei Flügel einen Garten umschließen, den die Sonne erwärmt. 2015 wird die Idylle einem Neubau weichen, der mehr Betten und bessereArbeitsbedingungen mitbringt.

Es sind verschlungene Wege, die Reinhard Schneppenheim vor 14 Jahren an diesen Platz geführt haben. "Mein Herzenswunsch als Schüler war es, Mikrobiologe zu werden."

Geboren wurde der heute 62 Jahre alte Forscher und Mediziner im niedersächsischen Bad Bentheim, nahe beim westfälischen Gronau und der niederländischen Grenze. Sein Vater war Buchhalter, frühe Stationen waren Aachen und Wesel am Niederrhein. Eine Akademikerkarriere liegt anfangs fern: Ein Deutschlehrer traut ihm den Übergang von der Realschule zum Aufbaugymnasium nicht zu; ein Mathematiklehrer sorgt dafür, dass es dennoch klappt. Er geht in Gronau aufs Gymnasium. "Das Abi hab ich dann mit einer Fünf in Deutsch geschafft - das ging damals, wegen der Kurzschuljahre."

Außerhalb der Schule ist Schneppenheim viel draußen unterwegs, mit dem Fahrrad, bei den Pfadfindern:"Natur hat mir immer viel bedeutet." Nach seiner Bundeswehrzeit in Bonn beginnt er dort mit dem Biologiestudium. Inspiriert, sagt er, vielleicht auch vom Zoodirektor Bernhard Grzimek, der damals Fernsehkonjunktur hatte. "Ich wollte unbedingt die Serengeti sehen", ein Traum, der bis heute offen ist.

Nach dem Vordiplom wechselt er nach Kiel. Weil man da besser segeln kann. Und weil er sich da für die Diplom- und die Doktorarbeit auf Meeresbiologie und Biochemie spezialisieren kann. So kommt's, dass er einen "Dr. rer. nat." besitzt und keinen "Dr. med." und dass er erst für seine Habilitation ein medizinisches Thema bearbeitet hat.

Die Arbeit an der Promotion und später im Beruf bringen ihn mehrfach mit Expeditionen in die Antarktis. Es sind Erfahrungen fürs Leben, dort jeweils für vier bis acht Wochen zu leben und zu forschen. Er erinnert sich aneinen einsamen Ausflug mit einem Schneemobil, kilometerweit Richtung Südpol. "Strahlendes Wetter, ich hab den Motor ausgestellt. Da war dann nur noch das Geräusch der Eiskristalle, die über den Schnee fegten, sonst gar nichts. Nur große Stille." Die Bilder in seinem Büro stammen aus dieser Zeit.

Ihn interessieren weitab der Zivilisation Themen, die eine Praxisanbindung haben. Zum Beispiel die Fischereibiologie, die hilft, Fangquoten festzulegen. Er beschäftigt sich mit dem Krill, einer Leuchtgarnele, von der man damals annahm, sie könne helfen, die wachsende Bevölkerung des Planeten zu ernähren.

Wie aber kommt man vom antarktischen Krill zu den krebskranken Kindern in Hamburg? "Das war die Genetik - die Aufklärung vererbbarer Krankheiten. Damals waren viele Gene noch nicht bekannt, da hab ich mich draufgestürzt. Das war Neuland, wie die Antarktis. Und fand da meinen neuen Schwerpunkt: Blutgerinnung."

Da geht es etwa um Hämophilie, die Bluterkrankeit, und noch häufiger: das von-Willebrand-Syndrom, eine Gerinnungsstörung. "Das ist keine Krankheit, eher eine Veranlagung, es hört halt weniger schnell auf zu bluten. Aber das kann sehr gefährlich werden." Zu seinem Gebiet gehören auch die Leukämie und Tumore bei Kindern.

Er hatte sich seit 1973 in der Medizin umgesehen. 1982 macht er seine letzte Expedition; dann entscheidet er sich komplett für die Medizin. 1984 folgen das Zweite Staatsexamen, dann das praktische Jahr. Auch in der Ahnung, dass Familie - er ist damals mit einer Lehrerin verheiratet, sie haben später drei Kinder - und Dauerabwesenheit sich nicht gut vertragen würden.

In der Biologie profitierte er vom Medizinstudium, jetzt ist es umgekehrt: Er kann die Forschung mit der Behandlung von Patienten zusammenbringen. "Nur behandeln, das könnte ich nicht. Ich will die Ursachen von Krankheiten kennen, da ist man an einer Universitätsklinik genau richtig." Seit 14 Jahren leitet Schneppenheim die Kinderkrebsklinik mit ihren fast 70 Mitarbeitern.

Das war eine Umstellung für den Mann, der im Umgang mit der Öffentlichkeit fast ein bisschen scheu wirkt. "Der größte Horror war für mich, im Gegensatz zu meiner Frau, dass ich auf dem Blauen Ball tanzen sollte." Den Blauen Ball hat der Finanzexperte Günter Ehnert ins Leben gerufen, um Spenden für die Kinderkrebsstation zu sammeln. Er findet an diesem Sonnabend im Hotel Atlantic statt, mit 850 Gästen ( www.blauerball.de ). Und der Professor hat sich ans Tanzen gewöhnt.

Weniger gewöhnt hat er sich daran, dass die Arbeit seines Bereichs immer substanziell von Spenden abhängig ist. Die Fördergemeinschaft Kinderkrebszentrum Hamburg e. V. muss vielesregeln, was unser Gesundheitssystem regeln müsste: in der klinischen Versorgung, beim psychosozialen Team, auch mit zwei Arztstellen, bei Forschungsprojekten. "Es muss doch einleuchten, dass Kindermedizin zeitaufwendiger ist. Dass berufstätige Eltern auch nach Feierabend noch kommen können, um mit uns zu sprechen." Vorstand undehrenamtliche Mitglieder sorgen dafür, dass die Spenden nicht versiegen.

Das ist der organisatorische Part. Der zwischenmenschliche ist noch schwieriger. "Die Kinder sind seltener das Problem. Aber sie haben Eltern, die das oft viel mehr reflektieren und dann mit ganz anderen Ängsten zu uns kommen als ein Kind." Wenn zum Beispiel nur eine Chemotherapie Erfolg verspricht und die Eltern alternative Medizin bevorzugen. "Sie dann zu überzeugen, das ist eine unserer wichtigsten Aufgaben. Denn das Kind muss spüren, dass alle am gleichen Strang ziehen."

Was ihn in diesem Bereich hält, in dem auch junge Patienten sterben, ohne dass er helfen kann: "Die Erfolge im Kindesalter sind wesentlich besser. Wir können heute eine Leukämie bei Kindern mit 80 Prozent Wahrscheinlichkeit dauerhaft heilen. Das motiviert uns auch, jede Krankheit dauerhaft heilen zu wollen. Und wenn man einmal nicht mehr helfen kann, ist so ein tragischer Fall oft der Auslöser dafür, deutlich mehr wissen zu wollen. Das hilft diesem Kind nicht mehr, aber vielen anderen."

80 Prozent Wahrscheinlichkeit bedeuten: Bei 20 Prozent gibt es Rückfälle, auch Tod. Belastet das den Arzt bei Kindern stärker als bei anderen Patienten? Schneppenheim formuliert nachdenklich: "Man nimmt einiges mit. Aber meine jetzige Frau ist auch Ärztin, manche Sachen bespreche ich mit ihr - aber alles wird man da auch nicht los."Die beiden haben ebenfalls drei gemeinsame Kinder, beim Ältesten musste eine Herzrhythmusstörung operativ behoben werden - "daher kenne ich auch die Seite der besorgten Eltern". In der Klinik muss er oft denken: "Und wenn's das eigene Kind wäre ...?"

Ablenkung hiervon und Entspannung findet er im eigenen Garten in Poppenbüttel - eine Reminiszenz an den Biologen von einst. Und bei Reisen. Er war mit der Familie in Argentinien, sie sind zusammen auch in Thailand herumgereist, "sehr preisgünstig, mit dem Rucksack". Als Nächstes soll's nach Schweden gehen, wohin er als Student oft mit seinen Freunden gesegelt ist.

Da kann dann auch der passionierte Arzt Ruhe finden. "Die eigenen Probleme relativieren sich, und man spürt eine Dankbarkeit dafür, wie gut es einem selber geht und der Familie."

Der rote Faden geht weiter an Silvia Azzoni, Solistin im Hamburg Ballett. "Mit ihrer 'leisen' Perfektion hat sie mich immer wieder aufs Neue tief berührt und mir besondere Abende geschenkt", sagt Professor Reinhard Schneppenheim.