Bei ihrer Jagd auf Verkehrssünder gehen die Beamten vom ProViDa-Team der Polizei ans Limit. Die Zahl der Verkehrsunfälle geht zurück.

Hamburg. Das Kennzeichen? Wechselt alle drei Monate. Die Kamera? Ist unter dem Rückspiegel versteckt. Das Modell? Gehobene Mittelklasse, schwarz lackiert. Ein klassisches Vertretergefährt, wie es tausendfach über Deutschlands Autobahnen rollt. Der Dieselmotor leistet mehr als 200 Pferdestärken. Ein Wolf im Schafspelz, der sich im Berufsverkehr versteckt. "Wir brauchen Beschleunigung aus der Mittellinie", sagt Kommissar Thorsten Riechers, während er die weiß lackierte Suzuki nicht aus den Augen lässt, beide Hände fest am Lederlenkrad.

Doch selbst 200 Pferdestärken können knapp werden - wenn man ein Supersport-Bike verfolgt: Wie an einem Gummiband gezogen, rast der Biker auf und fast davon. Auf dem Bildschirm über der Mittelkonsole schrumpft das Motorrad zu einem hellen Fleck, der über die Autobahn 25 fliegt.

+++ Schnellster Raser seit zehn Jahren - 240 wie in Monte Carlo +++

Der Kommissar tritt das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Der Diesel brüllt auf, der Wagen jagt über den Asphalt in die enge Schlaufe zur A 1. Riechers und sein Kollege, Oberkommissar Ulrich Knievel, werden in die Sitze gepresst, rasen durch die S-Kurve. Riechers bleibt am Gas, zieht auf der Auffahrt an mehreren Sattelschleppern vorbei, bringt den Videowagen wieder an das Motorrad heran, während Knievel das Tempo des Rasers misst. Spitzenwert: 162 Kilometer pro Stunde bei erlaubten 100.

Die beiden 49-Jährigen kennen jede Kurve, jede Abfahrt entlang der 83 Autobahnkilometer im Stadtgebiet. Riechers seit sieben, Knievel seit 17 Jahren machen Jagd auf Raser und Drängler. Bis zu 300 Kilometer reißen sie an einem Tag ab, oft am Limit. Dennoch: "Wir sind nicht leichtsinnig, kennen unsere Grenzen", betont Riechers. Schnelle Fahrten und Ausweichmanöver üben sie regelmäßig auf einem alten Flugplatz. "Und wir provozieren nicht. Haben wir einen Verstoß dokumentiert, holen wir den Fahrer raus. Wir warten nicht darauf, ob noch mehr kommt."

Ihre Basis ist ein ehemaliges Postgebäude: die Verkehrsdirektion an der Stresemannstraße. Ein schmuckloser Plattenbau mitten in Bahrenfeld. Zehn Kollegen teilen sich den Dienst im ProViDa-Team, benannt nach dem Verkehrsüberwachungssystem Proof Video Data System. In der Garage stehen drei hubraumstarke Limousinen und ein Motorrad bereit, alle mit Kamera und Videorekorder ausgerüstet.

Bis zu zehn Verkehrssünder stoppen sie pro Schicht, wobei an den Landesgrenzen keineswegs Schluss ist. Wer aus dem Verkehr gezogen wird, hat nicht nur mal den Blinker vergessen. Das Team ist für die schlimmen Fälle da. Den Ertappten drohen nicht nur Punkte und Geldbußen, sondern oft auch ein Fahrverbot. "In sechs bis acht Wochen erhalten Sie Post von der Bußgeldstelle", so lautet einer von Riechers Standardsätzen. Auch Mario K., Besitzer der Suzuki, wird ihn hören.

Bis zur Ausfahrt Georgswerder, noch hinter Dreieck und Kreuz Südost, dauert das Katz-und-Maus-Spiel: Den Motorradfahrer anzuhalten ist nicht einfach. Mehrfach startet er durch, überholt rechts. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Biker flüchtet. Als er auf die Abbiegespur zieht, gehen die Verfolger mit. Filmreif überholen sie ihn an der Kreuzung zur Veddeler Straße, stellen sich quer zur Fahrbahn, schneiden den Weg ab. Riechers springt aus dem Wagen, rennt auf die Maschine zu, dreht den Zündschlüssel um. Die Fahrt ist zu Ende. Wenig später raucht der 30-Jährige eine Zigarette auf einer Verkehrsinsel, das Gesicht gerötet, die Konturen des Helms zeichnen sich ab: "Ich habe niemanden gefährdet", sagt er, besinnt sich: "Gut war das natürlich nicht. Eigentlich tobe ich mich auf der Rennstrecke aus, nicht auf der Straße. Aber mit so einer Maschine geht das schneller, als man denkt." Wie sich herausstellt, war die Kamikazefahrt erst seine zweite Tour in dieser Saison. Dass ihm Übung fehlt, hatten die Beamten sofort gesehen. "Im Kurvenbereich war er nicht sicher, musste korrigieren", sagt Knievel. "Hätte da Split gelegen, wäre er weg gewesen." So ein Dämpfer gleich zu Beginn der Saison sei deshalb nicht so schlecht.

Für Riechers ist die Arbeit nicht nur Pflicht, vielmehr Verpflichtung: "Wir haben schon viele Unfälle gesehen, kennen die Gefahren." Immerhin: "Die meisten sind einsichtig", sagt der Kommissar. Der klassische Raser sitze nicht im Sport-, sondern im Firmenwagen: Pendler und Geschäftsleute. "Es ist der Termindruck, der die Leute treibt", sagt Knievel. Dennoch: Die Zahl der Straftaten, etwa der Nötigungen, habe gefühlt abgenommen. "Noch vor fünf Jahren hieß es: eine Fahrt eine Tat. Einmal die A 7 rauf, und schon hatten wir einen." Zugenommen haben egoistische Rücksichtslosigkeiten: dauerhaft links fahren, Spurwechsel ohne Ankündigung. Die Unfallzahlen bestätigen diesen Eindruck: Seit 2008 ist die Zahl der Unfälle auf Autobahnen gesunken, um 300 auf etwa 2600, wie der heute vorgestellte Verkehrsbericht aufzeigt.

Während die Bußgelder im Vergleich zum Ausland eher gering seien, "schrecken hierzulande vor allem die Fahrverbote ab", glaubt Riechers. "Die meisten sind auf ihr Auto angewiesen." Oder auf ihr Motorrad: Mario K. muss sich auf zwei Monate Fahrverbot einstellen. Wie er dann von seinem Dorf bei Geesthacht zur Arbeit in den Hafen kommt? Ratloses Schulterzucken.

Mit einem Fahrverbot rechnen muss auch der 49-Jährige in seinem BMW Alpina, der nur schnell nach Hause wollte, um die Tochter von seiner Frau zu übernehmen, und nahe der Raststätte Harburger Berge mit 178 km/h durch eine Tempo-120-Zone fuhr. Genauso wie der Vertreter aus Süddeutschland, den der "Bitte folgen"-Schriftzug auf der A 1 überraschte. "Ich fahre 60 000 Kilometer im Jahr, meist mit Tempomat." Die fast 40 Stundenkilometer zu viel kann er nicht erklären.

Selbst Knievel ist schon mal "erwischt" worden - bei einem Einsatz: Der galt einem Schweizer. Während er versuchte, Anschluss an den Eidgenossen zu halten, raste ein weiterer Wagen heran. Knievel nahm die Verfolgung auf; im Dreierpack ging es über die Autobahn. Was er nicht wusste: Im zweiten Wagen saßen ProViDa-Kollegen aus Niedersachsen, die hatten es auf ihn abgesehen. "Plötzlich stoppten die uns mit Blaulicht", lacht er. "Bis sie merkten, wen sie an der Angel hatten, war der eigentliche Fisch über alle Berge."