Politiker sollten nach der Wahl die volle Amtszeit durchhalten, unabhängig von Umfragen

Es gibt Sätze, die nicht richtig dadurch werden, dass man sie ständig wiederholt. "Das Ergebnis der Landtagswahl in XYZ zeigt, dass die schwarz-gelbe Regierung in Berlin am Ende ist und endlich den Weg für Neuwahlen frei machen sollte" gehört dazu. So oder ähnlich fällt die Formulierung oft in diesen Tagen, meist sind die Absender die großen Oppositionsparteien SPD und Grüne, zu oft kommt diese Aussage aus dem Mund eines politischen Kommentators. Gemeint ist, dass sich die bundesdeutsche CDU-FDP-Regierung nicht mehr halten lässt, wenn die Liberalen bei Umfragen oder tatsächlichen Wahlen in den Ländern nur noch auf einen Wert kommen, der normalerweise nicht mehr einzeln, sondern unter "Sonstige" ausgewiesen werden müsste. Die zugegebenermaßen lächerlichen 1,2 Prozent für die FDP im Saarland werden so zum Anlass, einmal mehr das Ende des Kabinetts von Angela Merkel heraufzubeschwören.

Das ist nicht nur absurd, weil das Saarland allein aufgrund seiner Größe kaum als Seismograf für den Rest der Republik taugt - das ist gefährlich. Denn wer so argumentiert, untergräbt die demokratische Ordnung und provoziert ein Verhalten, das Politik- wie Politikerverdrossenheit herausfordert.

Um es einmal ganz klar zu sagen: Der Wähler hat ein Anrecht darauf, dass eine von ihm bestimmte Regierung bitte schön auch den kompletten Zeitraum an der Macht bleibt, der zum Zeitpunkt der Wahl vorgesehen war. Und die Regierung selbst hat das Recht (und die Pflicht), die entsprechende Legislaturperiode bis zum letzten Tag durchzuhalten. Alles andere wäre in etwa so, als würde man einem Olympiasieger über 100 Meter seine Goldmedaille zwischen zwei Spielen aberkennen, weil er auf einmal nicht mehr der Schnellste ist.

Die Frage nach einer Neuwahl in Deutschland stellt sich deshalb, trotz der maroden Verfassung der FDP, nicht, weil jetzt nicht gewählt wird. Und wer sie trotzdem stellt - meist übrigens aus sehr eigennützigen Motiven -, fördert die vielleicht größte Schwäche aktueller Politik.

Der Hang zum frühzeitigen Aufgeben, zum verantwortungslosen Hinschmeißen verantwortungsvoller Posten ist viel zu stark ausgeprägt, wie die jüngsten vorzeitigen Wahlen im Saarland und in Nordrhein-Westfalen zeigen. Dieses Verhalten gilt es zu kritisieren, nicht jenes von Angela Merkel und deren Koalitionspartner. Die Bundeskanzlerin macht genau das, wozu der Wähler sie beauftragt hat: Sie regiert bis zum Herbst des kommenden Jahres. Andere Politiker verursachen mit der leichtfertigen Auflösung von Parlamenten und Regierungen dagegen unverhältnismäßig hohe Kosten und nehmen dem Wahlakt das, was ihn so besonders macht: seine relativ berechenbare Einmaligkeit. Olympische Sommerspiele, die mal im Zweijahres-, mal im Vierjahresrhythmus, mal gar jedes Jahr ausgetragen würden, verlören auch ihren Reiz.

Nein, wir brauchen keine Neuwahlen. Was wir brauchen, ist verlässliche, auch von Umfragen losgelöste Politik. Ministerpräsidenten, Bürgermeister und Kanzler haben das Recht, direkt vor einer bevorstehenden Wahl sich an der eigenen Beliebtheit und jener der Partei zu orientieren. Während einer Legislaturperiode sollten sie sich aber auf das Wohl des Landes und seiner Bürger konzentrieren. Um das zu garantieren, ist es extrem wichtig, dass es nur alle paar Jahre Wahlen gibt; der Abstand von fünf, wie in vielen Bundesländern, ist dabei sicher noch besser als jener von vier Jahren. Ständige Neuwahlen führen dagegen dazu, dass die Politiker sich stärker auf ihren Wahlkampf konzentrieren (müssen) und dabei die eigentlich wichtige Arbeit aus dem Auge verlieren.

Nur wer das will, kann allen Ernstes so inflationär vorzeitige Wahlen fordern, wie das im Moment geschieht.