Vor einer so bedeutsamen Investition müssen unabhängige Sachverständige das Vorhaben beurteilen - im Interesse aller Hamburger

Olaf Scholz ist ein kluger und außergewöhnlicher Erster Bürgermeister. Seit dem Beginn seiner Amtsgeschäfte steht er vor einem Berg von Altlasten. Diese hatten ihm Vorgängersenate, darunter auch die Ära von Beust, hinterlassen. Sie zeigen sich in einer gewaltigen Schuldenlast und in vielen "Baustellen", die den Senat und die Bürger zu erschlagen drohen.

Jeder andere Politiker hätte zunächst Klarschiff gemacht und auf die Verursacher verwiesen, um sich von der Verantwortung für die Altlasten zu befreien. Nicht so Olaf Scholz. Er ließ sich auch nicht beirren, als Mitverantwortliche ihre Heldentaten (Peiner: "Handeln für Hamburg") in Buchform herausstellten oder dies kürzlich ankündigten ("Ole von Beust: "Mutproben"). Häufig besitzen solche Herrschaften sogar die Chuzpe, sich in ihren Büchern zwar an alles zu erinnern, aber unter Erinnerungslücken zu leiden, wenn sie zu ihrer Verantwortung befragt werden.

Olaf Scholz ist ein Mann der Tat. Deshalb machte er sich gewissenhaft an die Kärrnerarbeit. Einige der ererbten Probleme erklärte er kurzum zur Chefsache, um nichts dem Zufall zu überlassen. Von "König Olaf" ist bereits die Rede. Beim Hapag-Lloyd-Geschäft, das ihm der Von-Beust-Senat vererbt hat, droht jetzt Gefahr. Denn der bienenfleißige Scholz kann nicht alles wissen, abschließend beurteilen und entscheiden. Er muss andere kritische Meinungen zulassen. Vor allem muss er sich auf den Rat seiner Senats- und externer Fachleute verlassen können. Hier wäre auch die Handelskammer mit ihrem sonst omnipotenten Sachverstand in der Pflicht, hält sich allerdings bedauerlicher Weise zurück.

Kurz vor der parlamentarischen Entscheidung über Hapag-Lloyd scheint jetzt einiges aus dem Ruder zu laufen, sollten die Presseberichte stimmen (Hamburger Abendblatt vom 24./25. März 2012): Nur mit Unverständnis kann die Argumentation des Finanzsenators und des Vorstandsvorsitzenden der Hapag-Lloyd zur Kenntnis genommen werden, dass auf ein zeitnahes Wertgutachten für die 420-Millionen-Euro-Investition der Stadt verzichtet werden soll. Es wäre ein schwerer Verstoß gegen die Regeln eines Ehrbaren Kaufmanns und gegen die politische Verantwortung gegenüber den Bürgern.

Jeder Vorstandsvorsitzende in der Wirtschaft würde seinen Job verlieren, wenn er eine Investition empfehlen oder tätigen würde, ohne den Wert und die Wirtschaftlichkeit des Geschäfts gegenüber dem Aufsichtsrat beziehungsweise dem Genehmigungsgremium zu belegen. Deshalb muss diese Kernfrage von beiden Herren beantwortet werden: Wie kann die hoch verschuldete Hansestadt auf Basis eines vermeintlichen Unternehmenswertes in Höhe von 3,2 Milliarden Euro - 420 Millionen sollen für eine zusätzliche 13,3-Prozent-Beteiligung gezahlt werden - investieren, wenn der tatsächliche Unternehmenswert höchstwahrscheinlich nur zwei Milliarden Euro beträgt? Das heißt, Hamburg würde knapp 160 Millionen Euro zu viel bezahlen. Wird diese Lücke nicht schnellstmöglich aufgeklärt, darf dieses Geschäft trotz der standortstrategischen Bedeutung nicht getätigt werden. Eine große Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen und dem bezahlten Unternehmenswert bestand offenbar bereits beim ersten Einstieg der Hansestadt im Jahre 2008 ("Die Welt", 28. Februar 2009). Deshalb ist die Einlassung des Hapag-Lloyd-Chefs äußerst unverantwortlich, weil das gesamte Verlustpotenzial für Hamburg entsprechend größer wäre.

Der Finanzsenator und der Hapag-Lloyd-Vorstandsvorsitzende sind jetzt in der Pflicht, unseren Ersten Bürgermeister sowie die Bürgerschaft vor Fehlentscheidungen und die Bürger vor fatalen Konsequenzen zu bewahren.

Es geht um das Wohl Hamburgs und nicht um das Wohl und die Interessen eines finanzklammen Hannoveraner Reiseunternehmens, das von der Werthaltigkeit der Hapag Lloyd selbst nicht überzeugt ist. Nur wenn ein nachweisbar fairer und finanzierbarer Preis gezahlt wird, kann Hamburg vorübergehend ein stabiler Großaktionär für Hapag-Lloyd sein. Wird dagegen verstoßen, droht eine weitere Zunahme der Schulden Hamburgs und eine gefährliche Irrfahrt für das Unternehmen. Dies haben die hoch qualifizierten Mitarbeiter von Hapag-Lloyd, aber auch die Bürger Hamburgs nicht verdient.

Ex-Manager Werner Marnette, 66, war von Juli 2008 bis März 2009 Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein