Warum in der Hansestadt Leihräder und Carsharing so gut funktionieren wie in keiner anderen deutschen Stadt

Die Revolution ist rot und hat zwei Räder - seit bald drei Jahren ist das StadtRad aus Hamburg nicht mehr wegzudenken. Diese Revolution hat die Menschen in der Hansestadt mobiler gemacht. Den Bus verpasst? Etwas beim Einkaufen vergessen? Oder einfach Lust auf eine Tour im Sonnenschein? Ganz spontan können sich die Hamburger auf eines der 1200 verfügbaren roten Räder zwischen Ottensen und Wandsbek, zwischen Wilhelmsburg und dem Stadtpark schwingen. Das feuerrote Mobil ist heute, so sagt es der Betreiber Deutsche Bahn, mit Abstand das erfolgreichste städtische Leihradsystem Deutschlands.

Die Revolution ist weiß und hat vier Räder. Vor knapp zwölf Monaten kamen die weißen Smarts mit dem etwas bescheuerten Namen "car2go" ins Rollen: Inzwischen kann man sich nach der Erstanmeldung einen der 500 Zweisitzer zwischen Flottbek und Wandsbek, zwischen Alstertal und Elbstrom entleihen. Inzwischen, so freut sich der Initiator Daimler, ist Hamburg die Stadt mit dem höchsten Anteil aktiver car2go-Kunden.

Früher stand das "rote und weiße Hamburg" vor allem für die stilbildende Architektur der Hansestadt, für weiße Alstervillen und rote Backsteinbauten. Heute stehen die Farben zudem für ein zukunftsweisendes Konzept der Mobilität. Fortan ist nicht mehr der Besitz eines Verkehrsmittels entscheidend, sondern seine vorübergehende Verfügbarkeit. Man nimmt sich ein Auto oder ein Fahrrad, wenn man es benötigt. Festkosten entfallen, der Kunde zahlt nur für die Nutzungsdauer beziehungsweise den Verbrauch. Ein Statussymbol wird, ausgerechnet in der reichsten Metropole Deutschlands, zum Tauschgegenstand reduziert.

Dabei ist die Idee weder neu, noch kommt sie aus Hamburg. Dafür wird sie hier und heute professionell umgesetzt. Das war nicht immer so: Frei verfügbare Räder gab es schon 1965 in Amsterdam. Damals hatte die Anarchistengruppe Provo weiße Räder ohne Schloss im Stadtgebiet verteilt - doch alternativ ging schief. Weniger revolutionäre Volksgenossen in Holland überführten das Gemein- in Privateigentum. Eher alternativ waren auch die Anfänge beim Autoteilen, schon früh Carsharing getauft. 1988 begannen Berliner, sich unter dem Namen StattAuto einen Wagen zu teilen.

Seitdem sind in vielen Städten Carsharing- und Radmietmodelle aufgelegt worden. Doch nirgends funktionieren sie so gut wie in der Hamburg.

Das überrascht nur auf den ersten Blick: Die Hansestadt hatte die Gnade der späten Geburt, - hier versuchten sich nicht idealistische Existenzgründer, sondern hier planten Unternehmen den großen Metropolenauftritt. Der schwarz-grüne Senat, in dessen Amtszeit die rot-weiße Offensive fiel, unterstütze die Betreiber, die Deutsche Bahn AG und Daimler, nach Kräften. Schließlich passte die neue Form der Mobilität perfekt in das Konzept der Europäischen Umwelthauptstadt. Und erst in Hamburg konnten die neuen Systeme ihre Stärken voll ausspielen. Auf der einen Seite gibt es eine kritische Masse von Nutzern, auf der anderen sind hier Smartphones, die die Suche und Entleihe von Rad und Smart maßgeblich erleichtern, besonders weit verbreitet. Jedes Leihsystem steigert seine Effizienz mit der Zahl der Nutzer - ein Schneeballeffekt. Mittlerweile gönnen sich mehr als 10 000 Hamburger car2go, für das StadtRad haben sich sogar mehr als 120 000 Hanseaten registriert. Und mit jeder Partyplauderei oder kritischen Kolumne werden es einige mehr, zumal sich beide Systeme je nach Wind- und Wetterlage auch wunderbar kombinieren lassen.

Gibt es überhaupt nichts zu meckern? Nun, das ist eine Frage des Betrachters: Taxifahrer nennen Smart und StadtRad nicht zu Unrecht Sargnägel. Und inwieweit das bahneigene Leihrad Menschen aus der S-Bahn auf Radwege umverteilt, will offenbar auch niemand zu genau wissen - dabei ist die erste halbe Stunde auf dem Velo gratis, während schon die kürzeste aller Kurzstrecken beim HVV 1,40 Euro kostet. Vermutlich fällt diese spendable Preisgestaltung, bezuschusst durch die Behörde, noch unter das Motto "Anschubfinanzierung".

Den Hamburgern sei es gegönnt. Rad und Smart mobilisieren eine Metropole, günstig, umweltfreundlich, ressourcenschonend. Die Hansestadt, und daran ändern auch das schwerfällige Busbeschleunigungsprogramm des Senats nichts, ist verkehrspolitische Avantgarde. Wer hätte das vor drei Jahren für möglich gehalten?

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt