Außergewöhnliche Stürme und Regengüsse häufen sich auch in Deutschland, stellen Forscher beim 7. Extremwetterkongress in Hamburg fest.

Sie hatten klangvolle Namen wie Jeanett, Daria oder Vivian, aber sie verbreiteten Angst und Schrecken und hinterließen eine Spur der Verwüstung: Winterliche Sturmtiefs sind die häufigste Ursache für Naturkatastrophen in Deutschland. Zusammen mit Hagelschlag bei starken Gewittern, Überschwemmungen und sommerlichen Hitzeperioden verursachen sie Millionenschäden, Tendenz steigend. Seit den 1970er-Jahren hat sich die Zahl der wetterbedingten Katastrophen mehr als verdreifacht. Das zeigt eine Auswertung der Münchener Rückversicherung, die die weltweit größte Datenbank zu Naturkatastrophen pflegt.

"Während die Zahl der geologischen Ereignisse wie Erdbeben, Vulkanausbrüche und Tsunamis nur leicht angestiegen ist, haben wir eine starke Zunahme von wetterbedingten Katastrophen - sowohl weltweit als auch in Deutschland", sagte Peter Höppe, Leiter der GeoRisikoForschung bei der Münchener Rück, gestern zu Beginn des Extremwetterkongresses in Hamburg-Tonndorf. Weltweit seien inzwischen drei Viertel aller Schäden wetterbedingt, sagt Höppe. In Deutschland liege der Anteil sogar bei 99 Prozent, wobei das größte Schadenspotenzial bei Winterstürmen bestehe. 2011 war das weltweit bisher teuerste Naturkatastrophenjahr mit Gesamtschäden von 287 Milliarden Euro.

Hier ist der Süden Deutschlands tendenziell stärker betroffen als der Norden. "Durch den Klimawandel haben wir häufiger Wetterlagen, die von Südwesten nach Deutschland hineinziehen und die Erwärmung bringen", sagte Frank Böttcher, Organisator des Wetterkongresses. Im Winter ziehen oft Sturmtiefs von Frankreich gen Deutschland und wüten dann bevorzugt in Baden-Württemberg und den angrenzenden Bundesländern. Der Orkan "Lothar" nahm im Dezember 1999 diesen Weg und richtete Schäden in Höhe von 1,6 Milliarden Euro an. Gut zehn Jahre später, im Februar 2010, schlug Wintersturm "Xynthia" zu und vernichtete Werte von 750 Millionen Euro. Andere Winterstürme wie "Jeanett" (2002), "Daria" und "Vivian" (beide 1990) trafen auch Norddeutschland, deckten Dächer ab, drückten Fenster ein, legten Bäume um, rissen Schornsteine und Masten nieder.

Klimaforscher warnen seit Jahren besonders vor der Zunahme von Extremereignissen. Denn gerade die richten die großen volkswirtschaftlichen Schäden an. Der prognostizierte durchschnittliche Temperaturanstieg in Deutschland von ein bis zwei Grad zur Mitte und drei bis vier Grad zum Ende dieses Jahrhunderts bildet die Kulisse für Wetterspektakel, die Menschen in Not bringen. Frank Böttcher vergleicht es mit einer Herdplatte: "Wenn Sie diese von Raumtemperatur um ein paar Grad erwärmen, können Sie weiter Ihre Hand darauf halten. Aber schalten Sie sie zum Kochen ein, gibt es Ausschläge, die alles andere als verträglich sind."

Mit welchen Schäden durch extreme Wetterereignisse ist vor dem Hintergrund des Klimawandels in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten zu rechnen? Diese Frage bearbeitete das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung im Auftrag der Versicherungswirtschaft, die Ergebnisse werden heute in Tonndorf präsentiert. Risikoforscher Peter Höppe nannte gestern Trends für zukünftige Schäden an Wohngebäuden durch Winterstürme oder sommerlichen Hagelschlag.

+++ Der Kongress +++

+++ Die Wetterwarnung aus Hamburg +++

+++ Die zehn teuersten Naturkatastrophen in Deutschland 1970-2011 +++

Dabei zeigte sich, dass Norddeutschland bei der Prognose noch relativ gut wegkommt: "Bei einem mittleren Szenario zum Klimawandel werden die Hagelschäden bei sommerlichen Gewittern in den kommenden 30 Jahren in Süddeutschland um etwa 15 Prozent zunehmen. Für Norddeutschland sehen wir keine Änderung", so Höppe. "Bei den Winterstürmen haben wir bislang keine Anzeichen, dass sie stärker oder häufiger werden. In der Zukunft könnten sich die Stürme leicht verstärken. Aber die Prognose zeigt bis 2040 nur eine Zunahme von zwei Prozent. Das ist ein gutes Signal für Norddeutschland."

In Deutschland mit seinem moderaten Klima seien Extremwetterereignisse relativ selten und meist auch nicht so zerstörerisch wie in anderen Teilen der Welt, betont Paul Becker, Vizepräsident des Deutschen Wetterdienstes. Deshalb seien hier die Folgen der Erderwärmung bislang kaum spürbar. Dennoch müsse sich auch Deutschland auf die sich ändernden Bedingungen einstellen und Vorsorge gegen Extremwetter treffen. Das Land befinde sich auf einem guten Weg, urteilt der Meteorologe: "Die deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel ist weltweit vorbildlich. Aber beim Warnwesen müssen wir noch mehr tun. Als Reaktion auf die Hitzewelle, die im Sommer 2003 mehrere Tausend Tote forderte, haben wir 2006 ein Hitzewarnsystem in Betrieb genommen. Es hat sich bewährt und kann als Vorlage für weitere Verbesserungen dienen."

Martin Claußen vom Hamburger KlimaCampus, eher bekannt für eine nüchterne Betrachtung des Klimawandels, forderte die Fachwelt auf, "das Unvorstellbare zu denken", damit sich Deutschland möglichst gut gegen Naturkatastrophen wappnet. Damit meine er keine Kinothriller wie "The Day After Tomorrow", in dem New York in einer Eiszeit versinkt, sondern naturwissenschaftliche Szenarien. "Lassen Sie uns einmal fantasieren und uns vorstellen, eine Serie von Orkanen mit nordwestlicher Windrichtung träfe die norddeutsche Küste, und gleichzeitig gibt es im Atlantik am norwegischen Schelf eine Hangrutschung, die womöglich einen Tsunami verursacht - dieses Szenario ist nicht sehr wahrscheinlich, aber dennoch theoretisch möglich. Haben Ingenieure und Warndienste eine Antwort darauf?"

Auch unmittelbar vor der Hamburger Sturmflut anno 1962 hatten die Verantwortlichen nicht damit gerechnet, dass eine Naturkatastrophe solchen Ausmaßes eintreffen könne, sagte Claußen - in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar wurden sie eines Besseren belehrt. 318 Menschen starben, die meisten in Kleingartenvereinen auf der Veddel, in Wilhelmsburg und Hamm.

Als Reaktion auf das Desaster investierte die Stadt massiv in den Hochwasserschutz, verstärkte die Deiche und erhöhte sie auf mindestens acht Meter über Normalnull (NN). Die Sturmflut 1962 erreichte einen Wasserstand von 5,70 Meter über NN. Er wurde bei nachfolgenden Sturmfluten bereits viermal übertroffen (1976, 1994, 1995 und 1999), ohne dass die höheren Fluten nennenswerte Schäden anrichteten (mit Ausnahme des Hafenbereichs 1976).

Die Maßnahmen gegen das höhere Hochwasserrisiko haben sich also bewährt und Hamburg vor großem Schaden bewahrt. Das errechnete die Münchener Rück zum 50. Jahrestag der 62er-Sturmflut. Demnach flossen seit 1962 rund 2,2 Milliarden Euro in Deichsicherheit und andere Flutschutzmaßnahmen. Dies ersparte der Stadt Schäden von rund 17,5 Milliarden Euro.