Ursula Stelling ist die beste Athletin über 70. “Ich brauche jeden Tag Bewegung“

Eimsbüttel. Meist reicht schon ein Versuch und Ursula Stelling hat ihre Konkurrenten abgehängt. So geht das seit Jahren.

Erst Anfang März hat die Eimsbüttlerin wieder einen Weltrekord im Hochsprung aufgestellt: Bei den deutschen Meisterschaften in Erfurt sprang die 49-Kilo-Frau die neue Bestmarke von 1,30 Metern. Natürlich in ihrer Altersklasse - 70 plus. Viele Mitstreiter hatte die 70-Jährige dabei nicht. Nur drei weitere Hochspringer traten mit ihr zum Wettkampf an.

Stelling, die von den meisten "Molly" genannt wird, ist eine von rund 117 000 Hamburger Senioren (über 61), die in Sportvereinen Mitglied sind. Laut Thomas Michael, Sprecher des Hamburger Sportbundes, ist die Tendenz deutlich steigend. "Dass immer mehr ältere Menschen Sport treiben, liegt auch daran, dass das Angebot der Vereine für ältere Menschen immer besser geworden ist." Ursula Stelling ist seit60 Jahren Mitglied des Eppendorfer Sportvereins SC Victoria. Dort ist man sich ihres Ausnahmetalents bewusst: "Ursula Stellings Erfolge sind einmalig", sagt Angela Brauer, Vorsitzende der Leichtathletikabteilung.

Schon oft wurde Ursula Stelling von ihren Mitstreitern nach ihrem Erfolgsgeheimnis, nach Trainingsplänen und der Sprungtechnik gefragt. Bei demGedanken daran muss die 1,70 Meter große Frau schmunzeln. "Die Wahrheit ist, dass ich immer nur ein-, zweimal kurz vor dem Wettkampf springe", sagt Ursula Stelling.

Die Sprungtechnik hat sie sich selber beigebracht, nachdem sie zum ersten Mal im Fernsehen den sogenannten Fosburyflop gesehen hat: seitlicher Anlauf und rückwärts über die Stange. "Die Technik war in den 60er-Jahren ganz neu", sagt Stelling. "Ich habe sie dann einfach nachgemacht."

Über die Beweglichkeit der 70-Jährigen kann man nur staunen. Ihr zierlicher und gleichzeitig muskulöser Körper ist das Ergebnis ihrer kleinen "Sportverrücktheit".

"Ich brauche jeden Tag Bewegung", sagt Stelling, die 41 Jahre lang als Bankkauffrau gearbeitet hat. Morgens beginnt sie mit ein paar Gymnastikübungen auf dem Wohnzimmerteppich. Mehrmals pro Woche schlüpft sie in ihre Turnschuhe und läuft auf dem Sportplatz am Schanzenpark ihre Runden. Auch geht sie in die "Muckibude"Gewichte stemmen.

Als Sechsjährige startete sie beim SC Victoria mit Kinderturnen. Irgendwann sagte dann einer aus dem Verein: "Du bist groß, du bist schlank, du machst jetzt Hochsprung." Die ersten Erfolge ließen nicht lange auf sich warten. Davon war wohl vor allen Dingen Stelling selbst überrascht. Schließlich war der Sport bis heute immer nur ein Hobby - die Erfolge sind eine angenehme Nebensache.

Hätte sie für ihre insgesamt drei Weltrekorde richtig ackern müssen, hätte sie die Turnschuhe vermutlich längst an den Nagel gehängt. "Verbissen auf einen bestimmten Titel hinzuarbeiten, das liegt mir nicht", sagt sie. Einen Trainer hat sie nie gehabt.

Der Sport bedeutet für die Weltrekordlerin vor allen Dingen Spaß haben, Freunde treffen und etwas erleben. Sie hat an Wettkämpfen auf der ganzen Welt teilgenommen, immer mit ein paar Tagen Urlaub verbunden. "Ich nehme grundsätzlich nur an Wettkämpfen teil, wenn mich der Austragungsort auch zum Urlaubmachen interessiert", sagt sie augenzwinkernd.

Seit Stelling und ihr Mann in Rente sind, haben sie dafür noch mehr Zeit. Sie lieben es, zu reisen, Freunde zu treffen und gemeinsam abends ein Glasguten Rotwein zu trinken. Sport treiben sie immer noch jeden Tag. Aber natürlich nach "Molly"-Manier: immer ganz entspannt.