Neustadt. Zwischen diesen beiden Menschen herrscht Eiszeit. Frostige Blicke, unterkühlte Stimmen und eine Körpersprache, die eine Atmosphäre deutlich unter dem Gefrierpunkt erahnen lässt. Nichts ist mehr geblieben von einer Ehe, die einmal harmonisch gewesen sein mag, mit Vertrautheit und gegenseitiger Achtung. Die Scheidung von Dirk H. und seiner Frau läuft, und zumindest der 43-Jährige hat sie innerlich offenbar längst vollzogen. "Meine Ex-Frau", sagt er immer wieder, um sich dann mit einem genervten Seufzer zu korrigieren: "Meine Noch-Ehefrau." Doch das tiefe Zerwürfnis wird nicht allein vor dem Familiengericht ausgetragen. Dieses Mal treffen sich die Noch-Eheleute in einem Strafprozess wieder.

Hintergrund ist ein Streit um Geld. Bei der heftigen Auseinandersetzung vor gut einem Jahr soll Dirk H. seiner Frau gedroht haben: "Meine Faust bleibt nicht immer in der Tasche. Beim nächsten Mal stehst du nicht auf. Ein Genickbruch ist auch ein schöner, schneller Tod für dich."

Wegen Bedrohung hatte das Amtsgericht den Mediziner zu einer Geldstrafe von 560 Euro verurteilt. Gegen diese Entscheidung ging der Hamburger in Berufung, sodass der Fall jetzt in zweiter Instanz vor dem Landgericht verhandelt wird. Von zwei Verteidigern flankiert, sitzt der Angeklagte da. Mit selbstbewusstem, ja geradezu selbstgefälligem Blick legt der 43-Jährige, hanseatisch-dezent gekleidet, seine Version der Ereignisse dar. Schon seit Längerem sei die Beziehung zwischen ihm und seiner Frau "abgekühlt, die Kommunikation ging immer ums Geld", holt er aus. Der Tropfen, der dann das Fass zum Überlaufen gebracht habe, sei eine Begebenheit am 70. Geburtstag seiner Mutter gewesen. "Sie saß verheult in der Ecke, denn meine Frau hatte den billigsten Blumenstrauß mitgebracht, den sie auftreiben konnte, und war nur etwa zwei Minuten geblieben", ätzt er. Daraufhin habe er seiner Gattin mitgeteilt, "dass ich die Ehe beenden will, aber ohne Rosenkrieg".

Doch das ging dann tatsächlich gründlich schief. Immer wieder habe man über Finanzen gestritten. Wegen hoher Kredite sei er "in eine finanzielle Schieflage geraten". Deshalb habe er darum gebeten, ihm rund 15 000 Euro, die ihre Kinder auf ihren Sparbüchernhatten, zu leihen. "Sie hat mir einen sehr sportlichen Zinssatz auferlegt", erzählt er. An dem Tag, als er das Geld zurückgezahlt habe, sei es zu der Auseinandersetzung gekommen, die ihm die Strafanzeige eingehandelt hat. Doch nicht er habe ihr gedroht, behauptet Dirk H., sondern sie ihm. Seine Frau habe ihn gewarnt, dass ihn das gleiche Schicksal ereilen könne wie einen ihrer Verwandten, "er ist die Treppe runtergefallen, und das nicht ganz freiwillig". Sie habe zudem angekündigt, sie werde ihn "fertigmachen". Daraufhin habe er geantwortet: "Jaja, ich weiß, und ein Genickbruch ist auch ein schöner Tod."

Für einen Moment ist seine Noch-Ehefrau, 50, sprachlos, als sie mit diesem Vorwurf konfrontiert wird. "Das ist so an den Haaren herbeigezogen." Dass dieser Verwandte gestorben sei, sei etwa 40 Jahre her. Tatsächlich habe es sich genauso zugetragen, wie es in der Anklage formuliert wurde. Ihr Mann gehöre "zu den Menschen, die Geliehenes gern mal vergessen", betont sie. Auch deshalb habe sie auf Zinsen bestanden. Auch heute noch drehe sich der erbittertste Streit vor allem um Geld. "Ich bekomme keinen Cent Unterhalt." Doch ihrem Mann gehe es augenscheinlich finanziell nicht wirklich schlecht. "Irgendwie muss er ja seinen Lebensunterhalt bestreiten, wenn man fünf große Autos fährt!" Dabei gehe es unter anderem um einen Ferrari und einen Luxussportwagen von Alfa Romeo.

All dies bringt den Angeklagten nicht aus der Ruhe. Mit triumphierendem Blick zieht der Mediziner dagegen ein vermeintliches Ass aus dem Ärmel. Eine Geschäftsfreundin, mit der er unmittelbar vor dem folgenschweren Streit telefoniert habe, könne seine Version der Auseinandersetzung bestätigen, kündigt Dirk H. an. Nach dem Anruf habe er versehentlich nicht aufgelegt, sodass sie das Wortgefecht habe mithören können. Und tatsächlich schildert die 32-Jährige als Zeugin jene Szene, nahezu wortgleich mit dem Angeklagten. Die Frage des Vorsitzenden, ob sie vor dem Prozess Kontakt mit den Anwälten von Dirk H. gehabt habe, verneint die attraktive Blondine beharrlich - nicht wissend, dass einer der Verteidiger kurz vor ihrer Aussage ein ausführliches Treffen geschildert hatte.

Es dauert nur wenige Augenblicke, bis der Angeklagte und seine Verteidiger sich nach dem misslungenen Coup darauf verständigen, dass es sinnvoll ist, die Berufung zurückzunehmen und damit das Urteil des Amtsgerichts von 560 Euro Geldstrafe rechtskräftig werden zu lassen. Für die 32-jährige "Zeugin" hat ihr Auftritt allerdings ein Nachspiel: Die Staatsanwältin kündigt an, ein Verfahren wegen des Verdachts der Falschaussage einzuleiten.