Wirtschaftswissenschaftler kommen zu irreführenden Versprechen. Ein Grund: Sie tauschen sich zu wenig mit anderen Disziplinen aus

Aus den Sehern früherer Zeiten sind heute Analysten und Chefökonomen geworden, die alle paar Wochen neue "Prognosen" aufstellen. Würden sie nach ihrer Treffsicherheit bezahlt, wären sie allesamt Sozialfälle. Für die wirtschaftspolitische Beratung ist im Zweifel "die Story wichtiger als die Genauigkeit", wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) selbstkritisch eingestehen musste.

Erzählen ist mehr als Zählen. Dieses "Erfolgsprinzip" erklärt die Fehlerquoten im mitunter zweistelligen Prozentbereich.

Die Wirtschaftswissenschaft ist in ihrem Prognosedenken vielfach stehen geblieben. Sie hält wenig von Interdisziplinarität und noch weniger von der Sozial- und Geisteswissenschaft, wie in dieser Woche der Hamburger Ökonom Thomas Straubhaar im Abendblatt eingeräumt hat.

In Krisenzeiten, die Verbraucher verunsichern, sind sie selbst verunsichert. Vor der Psychologie der Verbraucher kapitulieren sie. Mit ihren alten Weisheiten kommen sie nicht mehr weiter, wie gerade die neue Zukunftsstudie des ehemaligen "Wirtschaftsweisen" Bert Rürup beweist.

Unter dem Titel "Fette Jahre" prognostiziert er den Deutschen goldene Jahre. Deutschland habe eine "glänzende Zukunft" vor sich: gute Wachstumsraten, sinkende Arbeitslosenzahlen und steigende Löhne. Davon würden alle Bürger profitieren. Die Bundesbürger könnten sich auf eine "gute Zukunft mit wachsendem Wohlstand und steigender Lebensqualität" freuen - so seine Quintessenz. Das Dilemma: Rürup sagt nicht, was die Deutschen eigentlich unter einer "guten" Zukunft im Sinne von gutem Leben verstehen, schweigt sich darüber aus, was "Wohlstand" für die Menschen wirklich bedeutet, und verwechselt am Ende auch noch "Lebensqualität" mit Lebensstandard.

Die Erklärung: Für den Ökonomen Rürup ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP), also die Summe aller Waren und Dienstleistungen, der einzige Maßstab. Im Buch wimmelt es von Fakten über Produktion und Pro-Kopf-Einkommen, Wirtschaftswachstum und Leistungsbilanzen, Subventionen und Finanzkapitalismus. Eine einzige eindimensionale Erfolgsstory. Weitere Indikatoren für ein umfassendes Verständnis von Wohlstand und Lebensqualität hält er zwar theoretisch für möglich, aber lediglich in "flankierender" und "ergänzender" Funktion. Er hat schließlich nur zwei Ziele im Blick: 1. das stetige Wirtschaftswachstum und 2. die Teilhabe möglichst vieler Menschen am "materiellen Wachstum".

Die Argumentation ist wirtschaftswissenschaftlich durchaus stichhaltig, aber dennoch irreführend, täuschend und vor allem enttäuschend. Denn sein Versprechen, "uns" Bürgern "ein klares Bild der guten Jahre zu zeichnen, die vor uns liegen", wird nicht eingelöst. Es fehlen qualitative Aussagen darüber, dass es uns in Zukunft gut oder vielleicht sogar besser geht als heute. "Fette Jahre" - für wen? Fett schwimmt oben. Wer sich darunter befindet, kriegt nichts ab.

Wer so vordergründig prognostiziert, verliert schnell den Blick für das wirkliche Wohlergehen des Landes und der Menschen. Vor allem das Gerechtigkeitsgefühl geht dabei verloren.

Eher drohen uns wohl "magere Jahre". Der größte Schuldenberg der Nachkriegsgeschichte wartet auf die nächste Generation: Die Schulden von heute werden dann ihre Steuern von morgen sein.

Und derzeit breitet sich eher das Gefühl aus: Die "fetten Jahre" sind vorbei.