Eine zukunftsfähige Metropole muss Künstlern Freiräume bieten. Kreativität entsteht gerade an den Bruchkanten einer Stadt

"Die Krankheit unserer heutigen Städte und Siedlungen ist das traurige Resultat unseres Versagens, menschliche Grundbedürfnisse über wirtschaftliche und industrielle Forderungen zu stellen."

Bereits 1956 formulierte der Architekt Walter Gropius, woran unsere Städte bis heute leiden. Verfolgt man die aktuellen Stadtentwicklungsdebatten, in denen eine immer stärker ökonomistisch geprägte Stadtentwicklungspolitik beklagt wird, scheint dies für Hamburg in besonderer Weise zu gelten.

Aus kultureller Sicht begrüße ich diese Debatte durchaus. Denn eine einseitige Ausrichtung auf ökonomische Bedürfnisse übergeht, was das Städtische eigentlich ausmacht: die Moderation von Differenz. Hamburg hat das in den Debatten um das Gängeviertel sehr deutlich erfahren und mit dem Abschluss einer Vereinbarung zwischen Stadt und Initiative besonnen und klug reagiert. Diese Haltung könnte der Ausgangspunkt für ein zukunftsfähiges Verständnis von Stadt sein.

Denn eine funktionierende Gesellschaft braucht eine lebendige Kunst und Kultur mit ihrem Eigensinn, ihrer Subversion, ihren produktiven Zweifeln. Und sie braucht den Künstler, der in der Lage ist, sich Fragen zu stellen, die sich andere nicht zu stellen trauen, und der manchmal zum Schrecken seines Publikums sogar Antworten auf Fragen gibt, die wir bisher gar nicht gestellt haben.

Dabei geht es schon längst auch um die Zukunftsfähigkeit einer Stadt. Denn Kultur ist heute durchaus ein Motor der Entwicklung von Städten geworden - mit über 70 000 Erwerbstätigen und einem Umsatz von rund 10,5 Milliarden Euro auch aus wirtschaftlicher Sicht. Hierfür braucht es ein Umfeld, das Kreative anlockt und Kreativität fördert.

In erster Linie geht es dabei um eine vitale kulturelle Szene, über die Hamburg absolut verfügt - mit einer hoch attraktiven Theaterlandschaft, einer Elbphilharmonie, die internationale Sogwirkung entfalten wird, einer überaus spannenden Ausstellungs- und Museumsszene, international erfolgreichen Festivals wie dem Reeperbahn-Festival und zahlreichen Projekten der kulturellen Bildung, um nur eine Auswahl zu nennen.

Kreativität und Innovation entstehen aber insbesondere an den Bruchkanten einer Stadt und nicht in erster Linie in ihrem geglätteten Zentrum. Darum müssen in der Stadtentwicklung Freiräume als im wahrsten Sinne des Wortes von maximalem Verwertungsdruck freie Räume gefördert werden und erhalten bleiben.

Tatsächlich brauchen Künstler und Kreative in unserer Stadt jedoch noch immer einen besonders langen Atem, um erfolgreich zu sein. Dort, wo es freie Räume gibt, müssen sich die Kreativen oft nach wenigen Jahren ein neues Zuhause suchen. Da wir diese Orte aber dauerhaft brauchen, versucht der Senat mit der Kreativgesellschaft solche Orte für eine langfristige Nutzung anzubieten.

Aktuell haben wir unter anderem die ersten Flächen im Oberhafen für eine kreative Nutzung ausgeschrieben und Flächen im ehemaligen Finanzamt Altona an Kreative vermittelt. Der Bedarf und damit auch das kreative Potenzial sind in der Stadt vorhanden.

Zu einer zukunftsfähigen Entwicklung der Metropole gehört auch der geschichtsbewusste Umgang mit den Zeugnissen der Vergangenheit. Denn Städte sind nicht nur die Ansammlung funktionaler Bürobauten und energetisch korrekt gebauter Wohnhäuser, sondern das Ergebnis jahrhundertelanger Entwicklungen, die jedem Ort sein unverwechselbares Gesicht gegeben haben. Denkmäler sind ein historischer Beitrag zur lebendigen Baukultur, sie bilden die Identität einer Stadt, und sie sind gleichsam Anker der Selbstvergewisserung unserer städtischen Gesellschaft. Wir sollten daher sehr sorgfältig mit ihnen umgehen - auch dann, wenn mal eine denkmalgeschützte Wand eingefallen ist.

Hamburg hat sich in den letzten Jahren an vielen Stellen erfolgreich herausgeputzt. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Stadt erkennt, dass sie als Gemeinwesen, das sie in erster Linie ist, nur dann zukunftsfähig bleibt, wenn sie sich von dem Stahl-und-Glas-Einerlei anderer Städte abhebt und die Freiräume bietet, die man zum Leben braucht.