Kleine Cafés, Dorfkneipen, Buchläden verschwinden allmählich. Wer sich darüber beklagt, kann etwas dagegen tun

Vielleicht liegt es am Alter. Eines der bekanntesten Zitate, das gleich mehreren Verfassern von Winston Churchill bis George Bernard Shaw zugeschrieben wird, besagt ja auch: "Wer mit 20 kein Sozialist ist, hat kein Herz - wer es mit vierzig immer noch ist, hat keinen Verstand." Nur, muss man dabei gleich konservativ werden? Einiges spricht dafür. Nicht umsonst setzen Unternehmen wie Manufactum auf Slogans wie "Es gibt sie noch, die guten Dinge" und haben Erfolg. Das Haar mag immer heller ergrauen - das Denken dunkelt nach.

Mehr und mehr drängt sich die Frage auf: Wo bleiben eigentlich die guten Dinge, die zur deutschen Kulturlandschaft bislang gehörten wie der Nieselregen zu Hamburg? Sie verschwinden nicht, sie verblassen eher, sie verlöschen. Ein paar Beispiele gefällig?

Wer regelmäßig in die gute Buchhandlung um die Ecke geht, muss vermutlich bald längere Wege einplanen. Denn der Fachhandel befindet sich auf dem Rückzug - in einem mehr oder minder stagnierenden Markt gibt es eine massive Umwälzung: Kleine Buchläden wie auch große Händler ächzten 2010 unter einem Umsatzminus von 2,8 Prozent, während der Internetverkauf um 14,1 Prozent zulegte und immer noch zulegt. Der Anteil der Online-Versender hat sich seit 2005 verdoppelt. Da darf man sich nicht wundern, dass überall die Paketdienste die Straßen verstopfen. Der Feind des Buchladens hat sechs Buchstaben, die wir hier nicht wiederholen wollen. Das könnte man noch als Werbung missverstehen.

Hier sind nicht finstere Mächte und noch finsterere Märkte am Werke, sondern wir alle. Wer seine Bücher mit der Maus bestellt, darf sich nicht beschweren, dass der Fachhandel bald die Pforten schließt. Denn die Umwälzungen in der Branche beginnen gerade erst. Elektronische Bücher, die sich bequem aus dem Netz laden lassen, kommen gerade erst aus der Nische hervor und werden den Markt umkrempeln. Bald werden Bücher weder Papier noch Rücken haben, dafür leuchten und Strom verbrauchen.

Wer das nicht glauben mag, sollte sich an das Schicksal der Musikindustrie und der Plattenläden erinnern. Für die Jüngeren unter den Lesern: Es gab sogar mal ganze Kaufhäuser, die auf Hunderten von Quadratmetern Schallplatten vorrätig hatten und sogar verkauft haben, und die hießen nicht Apple. Auch die klassischen Toto-Lotto-Läden, die Zeitungen und Zigaretten verhökern, können ein Lied von der Digitalisierung singen.

Immer schneller und virtueller geht es auch in den Cafés zu. Nun hatte Hamburg nie eine große Kaffeehauskultur, doch den verbliebenen Cafés machen die Coffee-to-go-Läden, in denen es Kaffee zum Weglaufen gibt, den Garaus: Diese sind auf maximale Frequenz getaktet, gemütlich soll es gar nicht zugehen, am besten soll man als Kunde das aufgeschäumte Kaffeewasser im Pappbecher gleich zum Mitnehmen einpacken und gefälligst verschwinden.

Das ist offenbar ein Konzept, das Hamburgern gefällt: Coffeeshops schießen wie Pilze aus dem Boden, Kneipen werden ja nicht mehr gebraucht. Das Rauchverbot leistet Sterbehilfe für eine darbende Branche. Man muss die Bierstuben, die hinter nikotingelben Gardinen ein Frischgezapftes servieren, ja nicht unbedingt mögen - aber auch sie waren und sind Teil der deutschen Kultur, ja, sie sind stilprägend in vielen Straßen der Städte und Dörfer. Aber ihre Zahl sinkt beständig - allein in Schleswig-Holstein sind in den vergangenen Jahren rund 15 Prozent der Dorfgaststätten geschlossen worden. Man darf davon ausgehen, dass Großfeuilletonisten nach dem endgültigen Aussterben der Kneipenkultur sentimentale Hommagen verfassen werden. Bis dahin aber wird der Schierlings-Wasserfenchel vermutlich mehr Schutz und Aufmerksamkeit hierzulande genießen als Kultur und Lebensart. Was wir verlieren, dämmert zu vielen erst dann, wenn es unwiederbringlich verloren ist.

Als mündiger Bürger kann man davor ja noch lebensverlängernde Maßnahmen einleiten. Man darf sein Buch im Fachhandel kaufen, sein Brot beim Bäcker, sein Fleisch beim Schlachter; man sollte ruhig mal eine Zeitung in einem echten Café lesen und am Abend das Feierabendbier in einer echten Kneipe genießen. Das mag konservativ sein. Das soll es auch.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt