Nach über 60 Jahren schließt die Angelabteilung des Traditionsgeschäfts Hoerning. Verkauft werden nur noch Waffen. Die Stammkunden sind traurig.

Altstadt. Die Lilienstraße in der Altstadt ist eine kleine, graue Gasse, in der es bei Wind zieht wie Hechtsuppe. Sie liegt etwas versteckt nur zwei Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt, parallel zur Spitalerstraße. Unter dem Schild "Angelgeräte, Ed. Hoerning seit 1809" befinden sich ein kleines, zurückhaltend dekoriertes Schaufenster und daneben - hinter einem Windfang - eine Tür mit einem abgewetzten Metallknauf. Tagsüber, zur Geschäftszeit, leuchtet es gelblich hinter der halb verglasten Tür.

Noch lässt das geheimnisvolle Licht im Dunkel der Gasse den Verdacht aufkommen, der winzige Laden könnte mit Zauberstäben, Hexenkraut und anderen Ausrüstungsgegenständen handeln, die man braucht, um ein zweites, unerkanntes Leben führen zu können. Was nicht ganz falsch ist. Denn Hoerning gilt nicht nur seit Jahrzehnten als Inbegriff eines traditionellen Hamburger Angelgeschäfts, sondern hat sich auf einen kleinen Teil der Anglerschaft konzentriert, der sich "Fliegenfischer" nennt und tatsächlich so speziell ist, dass viele Unkundige an Magie glauben, die den "Fliegen" (künstlichen Ködern) und dem artistischen Umgang mit den Fliegenruten innewohnt.

Aus betrieblichen Gründen wird Hoerning seine Angelgeräteabteilung aufgeben. Und die Kunden sind traurig.

Fliegenfischer geben manchmal zu, dass sie einen Spleen haben, dass "Flyfishing" (man gibt sich gern britisch) eine Weltanschauung ist, mögen aber einen Vergleich gar nicht - den mit einem gewöhnlichen Angler: "Frag bloß keinen, ob er angelt. Das ist so, als wenn er dich fragt, ob deine Braut aus der Peepshow kommt", schrieb der "Playboy" einmal. Berühmte Fliegenfischer waren Ernest Hemingway und Queen Mum. Und Brad Pitt zeigte sein Talent in dem Fliegenfischer-Film "Aus der Mitte entspringt ein Fluss".

Frauen kommen nur selten zu Hoerning an die Lilienstraße; und wenn, dann kaufen sie Gutscheine für Männer, Umhängetaschen aus Segeltuch oder Angelband (hochfestes Nylon), um Ketten aufzuziehen oder für Bastelarbeiten. Häufig sieht man jedoch Männer, die das Geschäft mit langen Rohren (für Angelruten) oder prall gefüllten Tüten und einem jungenhaft glücklichen Gesicht verlassen.

Das Aus für die Angelabteilung ist ein schwerer Schock für alle dieser Magie verfallenen Männer in Hamburg. "Das geht doch gar nicht", sagt einer, "hier hat mein Vater mir vor 45 Jahren meine erste Angel gekauft. So stolz war ich selten in meinem Leben." Und man meint in der Stimme des Mannes so etwas wie Sehnsucht zu hören: noch einmal so richtig Kind sein ...

Hinter der halb verglasten Tür liegt ein sehr kleiner Verkaufsraum, in dem nur vier Kunden Platz finden. Hinten rechts geht eine Treppe hoch ins Lager im ersten Stock. Links hinten führt ein schmaler Durchgang in die Jagd-, Waffen- und Messerabteilung von Hoerning und zum Keller.

Den meisten Raum nimmt der Holztresen aus den 50er-Jahren ein, der - völlig verglast - an einen Schneewittchensarg erinnert. Fertige Fliegen (Federbüschel auf einem Haken) schlummern unter der gläsernen Tresenplatte wie ein Bataillon Zinnsoldaten. Viele dieser kleinen Kunstwerke hat der Justizbeamte Marian Schultz in seiner Freizeit hergestellt. Er sagt: "Das ist reine Liebhaberei."

An der Längswand hängen Bälge (präparierte Skalps) von Gockelhähnen, Reb- und Perlhühnern, Jagd- und Diamantfasanen und Hennen, dazu: Fuchsschwänze, Rehfellteile und gefärbte Gänsefedern. In Regalen stehen Weidenkörbe, Angeltaschen aus feinstem englischen Segeltuch, Metalldosen, die Schmuckkästchen gleichen, Angelrollen und Schnurspulen.

Im Raum sind vier Ständer mit Angelruten bestückt. An einer anderen Wand hängen Spulen mit bunten Garnen aus Seide und Wolle, mache metallummantelt und glitzernd, andere aus Kunstfasern in Neonleuchtfarben. Eine weitere Wand ist voller kleiner Tütchen mit (noch bunteren) fusseligen Synthetikprodukten. Aus diesen Materialien werden die "Fliegen" gebunden. Das machen die Herren Fliegenfischer selber. Oder sie lassen machen.

Am 26. Mai 1809 eröffnete der damals 27-jährige Johann Gottlieb Wilhelm Hoerning in der Altstadt eine "Büchsenmacherey", erwarb als Thüringer das Hamburger Bürgerrecht und heiratete zwei Tage später eine Bürgerstochter aus Stade. Er handelte mit Vorderlader-Büchsen (noch mit Steinschloss) und Schwarzpulver. Von seinem Urenkel Eduard stammt das Ed. im Firmennamen. 1907 zog der Laden an die Lilienstraße. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm Paul Franz Kern, der eine Tochter von Eduard Hoerning heiratete, das Geschäft und führte den Handel mit Angelgeräten ein. Heute führt Hans Jürgen Kern den Betrieb in sechster Generation. Er sagt über den Entschluss, die Angelabteilung aufzugeben: "Das ist für die Hamburger Angler sicher traurig, richtig traurig. Aber betriebsinterne Gründe zwingen mich dazu." Die Konkurrenz durch neue und größere Geschäfte und den Internethandel sei sehr groß geworden.

Die meiste Magie verströmen die Fliegen, die künstlichen Köder, mit denen Lachse, Bachforellen, Äschen und Meerforellen gefangen werden sollen. Die Antwort auf die Frage, ob das überhaupt in Norddeutschland möglich sei, verschweigen manche der Herren Fliegenfischer gern. Traditionalisten unter ihnen reden nicht gern öffentlich über ihre Passion.

Sie reden eigentlich nur unter sich oder an Orten wie bei Hoerning. Hier, im zentralsten Angelgeschäft in Hamburg, laufen die Infos zusammen: Wo beißen die Forellen gerade? Welche Fliegen sind erfolgreich? Welche neuen Geräte gibt es?

Hoerning war jahrzehntelang eine Art persönliches Internetforum, eine Info-Börse, ein Ort kleiner Fluchten aus dem Büro oder von der Seite einer in der City einkaufenden Ehefrau. Der Fliegenfischer suchte Rat, Klatsch und Tipps bei den Männern hinter dem Tresen. Bei Ralph, Ursel, Nico, Helge oder anderen. Man war per Du, fachsimpelte und begutachtete die feinen Geräte. Einige ehemalige Angestellte von Hoerning haben eigene Angelgeschäfte gegründet. Legendärer Verkäufer war Walter Göttsch, der in seiner Tweedjacke drei Dinge auf einmal machte: Zigarre rauchen, Angelstorys erzählen und dann noch auf dem Tresen Angelruten bauen. "Das war gelebtes Verkaufen", erinnert sich ein Kunde.

Fliegenfischen ist eigentlich gar nicht so geheimnisvoll. Man kann es rund um Hamburg in wunderschönen Heidebächen, Flachlandflüssen oder im Meer betreiben.

Doch es gibt eine Hürde: Alle Bäche, Flüsse und Auen sind in privater Hand, meist in der von Vereinen, und man muss in einen Fischereiverein eintreten. Das ist nicht schwer: Wer die Angelprüfung bestanden und damit den "Fischereischein" hat, wird meist im Verein aufgenommen.

Schwieriger ist das Fliegenfischen an sich, denn: Man braucht nicht nur eine spezielle Ausrüstung, sondern auch Kleidung und in der Regel einen Lehrgang, um überhaupt mit den Geräten umgehen zu können.

Bleibt die Frage: Warum wird ein so interessanter und traditionsbehafteter Artikelbereich aufgegeben? Neben den betriebsinternen Gründen wird es wohl auch an der Möglichkeit liegen, hochfeine Fliegenfischergeräte heute per Internet sehr leicht in Großbritannien oder in den USA bestellen zu können. Die Jagd- und Waffenabteilung von Hoerning bleibt, die Angelabteilung soll "in der nächsten Zeit" auslaufen.