Wie im Frühjahr der alljährliche Zeitraffer uns in schwindelnden Trab setzt. “Von nun an geht's bergab“

In der letzten Woche, als mich der Gedanke "Du musst langsam deine Glosse vorbereiten!" zu unchristlich früher Stunde aus dem Schlaf scheuchte, fiel mir unabweislich ein Kinderlied ein, bruchstückhaft zuerst, dann fand es in der Erinnerung seine Form:

"Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt. / Er setzt seine Wiesen und Felder instand. / Er pflüget den Boden. / Er egget und sät. / Und rührt seine Hände frühmorgens und spät."

Komisch, dachte ich, nachdem die erste Strophe in der Erinnerung angekommen war, an das Lied hast du mindestens seit 50 Jahren nicht mehr gedacht! Es war verschwunden. Weggesackt im Vergessen.

Und dann überlegte ich, dass wahrscheinlich der plötzliche brutale Wintereinbruch im Februar daran schuld war, der sich gerade mit letzten Nachtfrösten wieder verabschiedete. Und dann fragte ich mich im Halbschlaf, ob Kinder wohl heute noch das Verb "eggen" verstehen und sich das zugehörige Substantiv "die Egge" noch richtig vorstellen können.

Und dass es "Rösser" nur noch gibt, wenn wir an Kutschen denken und an Rossschlächtereien und Wirtshausschilder ("Zum weißen Rössl"). Und wenn Präsident Scheel "hoch auf dem gelben Wagen" von den "lustig trabenden Rössern" sang. Und von Rossäpfeln, die die Straßenkehrer meiner Kindheit in aller Herrgottsfrühe mit Reisigbesen auf ihre Schaufeln fegten und aus den Kopfsteinpflasterritzen kratzten ...

Dann meldete die zweite Strophe: "So geht unter Arbeit das Frühjahr vorbei. / Da erntet der Bauer das duftende Heu. / Er mäht das Getreide. / Dann drischt er es aus. / Im Winter, da gibt es manch' fröhlichen Schmaus!"

Komisch, dachte ich. Der fleißige März in einer Strophe. Und der Rest des Jahres auch nur in einer Strophe! So jedenfalls spielt es mir meine Erinnerung zu, und googeln wollte ich nicht.

Und dann überkam mich das alljährliche Gefühl, dass das Jahr im März eigentlich schon gelaufen ist. Von jetzt ins Galoppieren verfällt. Galoppierende Schwindsucht! Eben noch Silvester und gefrorene Seen und Karneval und Aschermittwoch. Und schon gilt wieder der Knef-Refrain: "Von nun an geht's bergab."

In unserem Bewusstsein beginnt jetzt, wie Jahr für Jahr, die Zeit wie im Zeitraffer wegzulaufen. Wie in einer Badewanne, wenn man den Stöpsel zieht, gurgelnd zum Schluss, die "reißende Zeit". "Ich möchte so gerne noch bleiben", sang Walter Scheel: "Aber der Wagen, der rollt ...!"

Und bald wird unser verinnerlichter Beckenbauer fragen: "Ja, is denn scho Weihnachten?" Und wer Wind gesät hat, wird Sturm ernten.