Die Wulff-Krise und andere politische Konflikte machen deutlich: Manchen Amtsträgern mangelt es an Korrektheit

In den zwei Monaten der Wulff-Krise ist viel von Korrektheit in öffentlichen Ämtern die Rede gewesen und von der Verantwortung für das Ansehen von Staat und Demokratie. Der schleswig-holsteinische SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig verstieg sich vergangene Woche sogar zu der umfassenden Behauptung: "Wulff zertrümmert die letzte Achtung der Bürger vor den Politikern." Und er sagte voraus: "Das Amt des Bundespräsidenten wird nie wieder das sein, was es mal war."

Letztere Schwarzmalerei ist inzwischen widerlegt, die "Achtung der Bürger vor den Politikern" bleibt allerdings auch nach Wulffs Rücktritt und Gaucks Benennung gefährdet. Durch Wahlkämpfer wie Albig etwa, die aus billigen Motiven die Katastrophe herbeireden.

Der Respekt vor demokratischen Regeln, vor Staat und Verfassung muss im politischen Alltag Deutschlands zu oft parteipolitischer Trickserei oder kaltem Machtkalkül weichen. Ein paar Beispiele aus den vergangenen drei Monaten:

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles forderte im Januar für den Fall eines Wulff-Rücktritts Neuwahlen des Bundestages. Eine plumpe Wähler-Verdummung. Denn Neuwahlen während der Legislaturperiode sind nur dann möglich, wenn die Kanzlerin die Vertrauensfrage stellt und keine Mehrheit bekommt. Was das mit dem Amt des Bundespräsidenten zu tun hat? Nichts! Nahles forderte einen Verstoß gegen das Grundgesetz.

Als Wulffs eifrigster Berater und Verteidiger spielte sich der CDU-Politiker Peter Hintze auf. Im Stil eines Winkeladvokaten kam er in Talkshows zu dem Schluss: "Alle Vorwürfe gegen Wulff sind widerlegt." Hintze ist parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, also Mitglied der Bundesregierung. Seine Hauptaufgabe dort: Koordinator für Luft- und Raumfahrt. Dass er sein Regierungsamt vernachlässigte, um dem der Vorteilsnahme verdächtigen Wulff beizuspringen, lässt jeden politischen Instinkt vermissen. Wie konnte Hintzes Chefin, Kanzlerin Merkel, das zulassen? Und wann wirft sie ihn nun raus?

FDP-Chef Philipp Rösler gab schon Tage vor dem Ende des Mitgliederentscheids über den Euro-Rettungsschirm das Ergebnis bekannt, um seine Gegner mutlos zu machen. Das war, als ob im Fernsehen schon die erste Hochrechnung liefe, während die Wahllokale noch geöffnet sind. Eine eklatante Missachtung der Demokratie.

Grünen-Chefin Claudia Roth erklärte beim Parteitag Ende November, der Polizei-Einsatz bei den zeitgleich stattfindenden Anti-Castor-Demonstrationen sei ein "Anschlag auf die Demokratie". Dabei gab es diesmal überhaupt keine öffentliche Debatte über vermeintliche Polizei-Übergriffe. Roth wollte einfach ihrem Anhang unter den Demonstranten etwas bieten. Wer so redet, darf sich allerdings nicht wundern, wenn Stuttgart-21-Gegner im grün-rot regierten Baden-Württemberg das Ergebnis der Volksabstimmung ignorieren und sich ebenfalls von der Polizei verfolgt fühlen.

CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt hatte in der Diskussion um die Beobachtung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz die ultimative Lösung parat: Die Linkspartei ganz verbieten! Dass das Grundgesetz für das Verbot von Parteien Voraussetzungen verlangt, von denen die Linkspartei weit entfernt ist, scherte Dobrindt nicht. Politische Gegner, die einem nicht passen, einfach verbieten - eigentlich ist eine solche Einstellung ein Fall für den Verfassungsschutz.

Wenn schon so viele Politiker der etablierten, "staatstragenden" Parteien meinen, sie könnten mit Staat und Gesetzen nach Belieben herumjonglieren, dann braucht sich niemand darüber zu wundern, dass neue politische Organisationen, dass Wutbürger und Politikverdrossene das politische System überhaupt nicht mehr ernst nehmen. Oder sogar stolz darauf sind, demokratische Spielregeln und staatliche Institutionen nicht anzuerkennen.

Nach der Kandidaten-Kür für die Wulff-Nachfolge, die in ihrem Ablauf und mit ihrem Ergebnis ja doch eine kleine Sternstunde für die Demokratie war, gibt es nun wieder viel Hoffnung auf einen "Neuanfang" in der deutschen Politik. Grundsätzliche Werte nicht ständig zum Spielball zu machen - das sollte ein Teil dieses Neuanfangs sein.