Vorbilder dürfen zwar Fehler machen, aber Mittelmaß, Blender und Boni-Optimierer lösen die Probleme unserer Zeit nicht

Führungsdefizite in Politik, Unternehmen und in anderen Bereichen der Gesellschaft sind unübersehbar. Ein mittelmäßiger Bundespräsident, der nicht verstehen wollte, dass für das höchste Amt im Staat höchste Maßstäbe gelten. Staatsbedienstete, die Schuldenmachen zulasten der folgenden Generationen als lässliches Vergehen betrachten. Angestellte Manager, die ihr Handeln an der Optimierung ihrer persönlichen Bezüge und Boni ausrichten. Investmentbanker, die selbst kaum verstehen, was sie anderen verkaufen und sich in der Welt des virtuellen Geldes verheddern. Unternehmer, die unternehmerischen Erfolg zulasten ihrer Mitarbeiter erzielen. Priester, die ihr Hirtenamt benutzen, um unterdrückte Triebe an Schutzbefohlenen auszuleben. Lehrer, die den falschen Beruf haben - die Liste ließe sich beliebig verlängern.

Es gibt Gegenbeispiele, die zeigen, dass gute Führung und großes Engagement im Dienst der Sache möglich sind: die nüchterne Bundeskanzlerin oder ihr Verteidigungsminister. Soldaten, gute Lehrer, Krankenschwestern, engagierte Seelsorger und Sozialarbeiter sowie Müllmänner, die ihre Aufgabe als öffentlichen Dienst verstehen und gute Führung im Kleinen vorleben. Führungsdefizite gibt es immer. In unserer Zeit der Orientierungssuche fallen sie jedoch besonders auf.

Die Wirtschaftskrise in Europa, die unsichere Zukunft des Euro, versagende Kirchen, die verzweifelte Suche nach Werten, Zerbrechen von Familienverbünden, hohe Burn-out-Raten als Zeichen für chronische Überforderung angesichts der vermeintlichen Komplexität unseres Alltags - Auslöser und Symptome für Suche nach Orientierung. Wenn die, die Orientierung geben sollen, zu Protagonisten der Orientierungslosigkeit werden, haben wir ein echtes Problem.

Was gute Führung ausmacht, spüren wir genau. Die wichtigste Eigenschaft: Vorbild sein. Am Vorbild orientieren wir uns, im Guten wie im Schlechten.

Vorbild kann überzeugend nur der sein, der bei sich ist und mit seiner Rolle im Einklang steht. Vorbildlich zu handeln setzt kritische Selbstreflexion voraus. Nur wer sich jeden Abend kritisch fragt, was er heute hätte besser machen können, und daraus für den nächsten Tag lernt, strahlt Glaubwürdigkeit, Berechenbarkeit und Klarheit aus, die Grundlagen guter Führung sind. Gute Führung erzeugt Vertrauen. Und Vertrauen ist der Kitt, der Menschen in Unternehmen und im Staat zusammenhält. Vertrauen in den Chef, in das Unternehmen, in Kollegen besitzt höhere Bindekraft für gute Mitarbeiter, als Geld es jemals haben könnte. Führungsdefizite äußern sich als Vertrauenskrise. Und die erleben wir zurzeit.

Kann man gute Führung lernen? Ob jemand das Zeug zur Führungspersönlichkeit hat, ist zum Teil eine Frage des Talents. Frühe Erfahrungen im Umgang mit Verantwortung - als Klassensprecher, Jugendgruppenleiter, Rettungssanitäter und Schiedsrichter im Sportverein - trainieren. Es sind darüber hinaus einfache und bewährte Instrumente, die gute Führung wirksam werden lassen. Sie erfordern ständige Disziplin: zuhören, sich Zeit für Personalführung nehmen, Mitarbeitern regelmäßig Feedback geben, für Entscheidungen konsequent einstehen. Für die Politik heißt das: den Bürgern klaren Wein einschenken, gradlinig sein, Entscheidungen nachvollziehbar erklären. Gut Führen bedeutet einen Dienst verrichten. Das macht Freude, gibt Sinn, überzeugt und entscheidet sogar über Wahlausgänge.

Vorbild sein heißt übrigens nicht, keine Fehler zu machen. Wir verzeihen Fehler, nicht aber den schlechten Umgang mit ihnen. Die heftige Reaktion auf die Fälle Wulff und zu Guttenberg sind Ausdruck der Enttäuschung nicht über Fehler, sondern über die scheibchenweise Offenlegung und die Selbstgerechtigkeit der Akteure. Hier haben sich vermeintliche Orientierungsgeber als Mittelmaß und Blender enttarnt.

Wir müssen strenge Maßstäbe an Führungskräfte in Politik und Wirtschaft anlegen. Wer sich diesen nicht aussetzen will, sollte keine verantwortungsvolle Führungsaufgabe übernehmen. Mit Mittelmaß, Blendern und Boni-Optimierern an der Spitze können wir die Fragen unserer Zeit nicht bewältigen.