Anna war nicht oft beim Konfirmandenunterricht. Sie hat Schule und Kirche geschwänzt. Sie war immer unterwegs und ist irgendwo verloren gegangen, durch alle Maschen des Netzes gefallen.

Ob ich sie trotzdem konfirmieren kann, flüstert sie jetzt bittend. Ich frage: "Willst du das denn? Glaubst du denn, dass Gott dir helfen kann?"

"Ich will!", sagt Anna, und ihrer Mutter laufen die Tränen.

"Zuerst wirst du mit den anderen getauft", sage ich.

Das Mädchen schiebt mir den selbst gewählten Taufspruch zu, auf einem zerknitterten Zettel: "Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen!" Annas Mit-Konfirmanden, die zum Teil auch getauft werden, sind skeptisch: "Sie wird nicht kommen - wie immer!"

Dann ist der große Tag da. Die Glocken läuten. Keine Anna. Die Musik beginnt. Da kommt sie, blass und müde. Als Zehnte soll sie getauft werden. Die Kirche ist voll. Sie wird vortreten und ihren Taufspruch laut sagen müssen.

Alle warten. Anna steht auf. Sie macht sich gerade und geht in die Mitte zum Taufbecken. 200 Menschen sind still, als wenn sie mitzittern. Annas Stimme klingt durch die Kirche: "Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen!" Ich taufe: "Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes."

Die alten Worte rufen den Namen und die Macht Gottes gegen die dunklen Mächte, die dieses Kind straucheln lassen. In Gottes Namen geh den Weg des Lebens! Er gebe dir Kraft, über die Mauern zu springen, die dich einsperren! Von der Osterkerze wird das Licht geholt für Annas Taufkerze. Dazu klingt die alte Formel: "Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt, wer mir folgt, wird nicht im Finstern sein, sondern wird das Licht des Lebens haben."

Glaube ich selbst, dass so ein Machtwort wirken kann? Anna steht aufrecht da, sie nimmt das Licht und geht. Die geschwätzigen Konfirmanden sind still. Als hätte einer eine Seite in ihrer Seele berührt und zum Schwingen gebracht, einen unhörbaren Ton, dem alle lauschen.

Vielleicht hören sie, dass in den alten Worten Kräfte mitschwingen, die wir zum Leben brauchen und manchmal zum Überleben.

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