Überall Trümmer - und eine rettende Luftbrücke: Rotkreuzhelfer Hans-Joachim Heincke war während der Flutkatastrophe 1962 drei Tage und zwei Nächte lang im Einsatz

Hamburg/Prisdorf. Eigentlich wollte Hans-Joachim Heincke aus Rahlstedt am 17. Februar 1962 arbeiten. Eigentlich. Doch fiel dieser Plan ins Wasser, da das Bürogebäude der Firma Utesch am Grimm nahe der Katharinenkirche in der Altstadt überschwemmt war. Der Korrektor rettete noch einen Fisch aus dem Eingang und eilte danach zum Stützpunkt des Roten Kreuzes in Lokstedt. "Leute, das wird kein Zuckerschlecken", sagte der Gruppenführer zu den zwölf Mann auf dem Lkw. "Wir fahren jetzt an die Front."

Doch die musste auf das Hilfskommando erst einmal warten, denn die Elbbrücke war hoffnungslos verstopft. Als die Männer das Flutgebiet schließlich erreichten, standen die Straßen unter Wasser, der Untergrund war ausgewaschen, das Pflaster weggespült. "Zertrümmerte Autos, von der Wucht der Flut zusammengeschoben", erinnert sich Abendblatt-Leser Heincke, "lagen neben Treibholz und Möbelteilen."

Die Szene erinnerte die Männer tatsächlich an den Krieg. Ihre erste Aufgabe: Markieren eines Kreuzes auf dem Stübenplatz in Wilhelmsburg. "Während wir noch den letzten Strich zogen", berichtet Heincke, "schwebte bereits der erste amerikanische Hubschrauber herab." Er war voll beladen mit Milch in Tüten. Danach ging es Schlag auf Schlag: Im Minutentakt wechselten sich Bundeswehr und Air Force beim Landen ab. "Noch war der eine Helikopter nicht ganz leer, da hing schon der nächste über uns."

Stundenlang entluden die Helfer des Roten Kreuzes Brot, Würste, Butter, Quarknäpfe und Trinkwasser. Mit Sturmbooten versorgten Heincke und seine Kollegen die eingeschlossenen Menschen, die auf den Dächern ihrer Häuser oder in den oberen Stockwerken saßen und verzweifelt auf Hilfe warteten. "Plötzlich erreichte uns ein weiterer Hilferuf", erzählt Heincke. "Auf dem Gelände einer Bootswerft sollte eine gelähmte Greisin vom Wasser eingeschlossen sein." Tatsächlich war der Kanal nebenan weit über die Ufer getreten und hatte das Gebäude bis zum ersten Stockwerk unter Wasser gesetzt; das Treppenhaus war unpassierbar. Man fand die alte Dame ohnmächtig vor. Mittels Seil, Winde und Schlauchboot konnte die Frau, auf ihrem Bett liegend, gerettet werden. "Zwei Männer schwammen, blau vor Kälte und Erschöpfung, nebenher, als wir das schwankende Gefährt ins Trockene brachten."

Insgesamt war Hans-Joachim Heincke drei Tage und zwei Nächte im Einsatz. "Um das Ungeheuerliche und Schreckliche zu verarbeiten, habe ich mir wenige Wochen nach der Katastrophe das Erlebte von der Seele geschrieben." Diese Notizen, ein Tagebuch des Grauens, sind hervorragend erhalten. Ebenso wie selbst gemachte Fotos der Katastrophe (siehe oben), die der heute 82-Jährige zu Hause in Prisdorf aufbewahrt. Die einzelnen Rettungsmaßnahmen sind in seinem Gedächtnis präsent, als sei es gestern gewesen. Albträume habe er nicht - weder damals noch heute. "Vielleicht bin ich psychisch so stabil, weil es im Zweiten Weltkrieg noch schlimmer war", sinniert Heincke mit Blick auf den großzügigen Garten mit dem uralten Apfelbaum. "Als Jugendlicher musste ich dabei helfen, verschüttete Leichen auszubuddeln."

Nur manchmal, wenn die Erinnerungen wieder hochkommen, spricht er mit Ehefrau Jutta über das Drama vor 50 Jahren. "Auch in der Rückschau tauchen die Bilder des Schreckens wieder auf", sagt er leise. "Als sie den Arzt, der nach 72 Stunden ununterbrochenen Helfens zusammengebrochen war, in den Krankenwagen trugen. Als der vor Hunger und Kälte zitternde Junge da stand und nicht begriff, dass seine Eltern ertrunken waren. Als Soldaten triefende Leichen aus ihren Schlauchbooten hoben, junge Kerlchen in Uniform, die mit leeren Augen ihren Dienst versehen." Dank? Davon will Heincke nichts hören: "Das war Ehrensache."