Überzieht die Presse mit Berichten über den Bundespräsidenten? Nein, so der Wissenschaftler, kritische Journalisten erfüllen ihre Pflicht

Dieser Tage erschien die neueste Ausgabe der Branchenzeitschrift "journalist", ein Fachmagazin mit hoher Auflage, in dem Journalisten über ihre eigene Branche und ihre Art zu arbeiten nachdenken. Es ist ein Heft, das sich in seiner Titelgeschichte der Affäre um den Bundespräsidenten Christian Wulff widmet und von einer Unkenntnis des eigenen Berufs und der Enthüllungspublizistik zeugt, die ihresgleichen sucht. Hier schreibt der Autor Jan Freitag im Stil eines genervten Lesers: "Es ist einfach zu viel. Zu viel Information, Input und öffentlicher Diskurs" - und meint vermutlich: Journalisten sollten die Berichterstattung über den Fall schlicht einstellen. Er erregt sich darüber, dass einzelne Medien ihre Informationen offenkundig portionieren, dem Skandal ihre eigene Dramaturgie geben - und übersieht, dass dies schlicht zur Normalität des Gewerbes gehört.

Dazu nur eine Bemerkung am Rande: Hans Leyendecker, einer der wichtigsten Enthüllungsjournalisten der Republik, schrieb zu Beginn der CDU-Parteispendenaffäre insgesamt 115 Artikel innerhalb von vier Monaten und bekannte später, er habe die Geschichte bewusst mit immer einem neuen Dreh und einem neuen Spannungsbogen versehen, um das so wichtige Thema am Leben zu halten.

Der kuriose Rundumschlag des Autors - Symptom einer allgemeinen Medienverdrossenheit und einer längst Mode gewordenen Medienkritik - gipfelt schließlich in dem Satz: Einmal "abgesehen vom Eisbären Knut stand die Wucht der Berichterstattung über ein Ereignis wohl nie zuvor in so eklatantem Missverhältnis zu seiner Relevanz." Wie bitte?

Es geht, so gilt es sich zu erinnern, um einen ehemaligen Ministerpräsidenten, der vor dem niedersächsischen Landtag zumindest nicht die Wahrheit gesagt hat; der außerdem versucht hat, die missliebige Berichterstattung durch einen Droh-Anruf zu unterbinden, und der in seinem politischen Leben offenbar seit Jahren hart am Rande des Anrüchigen herumbalanciert, weil er Politik mit Promi-Business verwechselt.

Es geht um einen Bundespräsidenten, gegen dessen ehemaligen Sprecher Olaf Glaeseker die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Bestechlichkeit ermittelt; der mit einem Privatkredit und immer neuen Vergünstigungen und Schnäppchen für Schlagzeilen sorgt - und der sich entschieden hat, den Skandal um seine Person stoisch auszusitzen und immer nur das einzuräumen, was sich ohnehin nicht mehr verbergen lässt.

Natürlich, man mag einwenden, dass nicht jedes Flug-Upgrading, nicht jedes supergünstig geleaste Auto, nicht jede klebrige E-Mail aus dem Umfeld des Event-Managers Manfred Schmidt eine weitere Titelgeschichte tatsächlich auch verdient hat. Aber in der Summe handelt es sich doch um eine Affäre, die Brisanz besitzt.

Denn es geht, ganz schlicht, um die Autonomie des Politischen - und die Frage, wann zu viel Nähe in Korruption und in Korrumpierbarkeit umschlägt. Journalisten haben diese Frage in den letzten Wochen und Monaten immer wieder auf die Agenda gesetzt und dies (wie etwa im Falle des Ex-Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg) auch gegen den erklärten Willen der einen Hälfte der Bevölkerung, die Christian Wulff gerne weiter im Amt sehen wollte und sehen will. Sie haben sich von den üblichen, ritualisiert vorgebrachten Vorwürfen ("Kampagne", "Hetzjagd", "Meutenverhalten" etc.) nicht sonderlich beeindrucken lassen und getan, was sie tun müssen: Es ist nun einmal ihr Job, das jeweilige politische Personal einem öffentlichen Eignungstest zu unterziehen.

Es ist notwendig, dass Journalisten immer wieder Verfehlungen skandalisieren - und dabei mit aller Entschiedenheit vorgehen. Das begründete Miesmachen, die Erzeugung von Vertrauen durch permanent artikuliertes Misstrauen gegenüber Einflussreichen und Mächtigen, gehört zu den verfassungsrechtlich geschützten Kernaufgaben einer freien Presse. Selbstverständlich ist auch Medienkritik nötig. Aber auch diese Kritik braucht Augenmaß und den gut begründeten Anlass.

Im Falle der unendlichen Affäre um den Bundespräsidenten Christian Wulff ist sie jedenfalls unberechtigt und falsch.