Propst Karl-Heinrich Melzer, Kirchenkreis Hamburg-West

Kalt ist es in Hamburg. Nachts zweistellige Minusgrade. Anton hat ein warmes Zimmer - ganz für sich allein. Die letzten Winter waren härter. Meist, so erzählt er, habe er auf irgendwelchen Abluftschächten übernachtet. Nun hat er im Rahmen des Winternothilfeprogramms vorübergehend in einem leer stehenden Altenheim eine Bleibe gefunden. Er lächelt nur einen kurzen Moment. Dann, mit nachdenklichem Gesichtsausdruck: "Für die da draußen kommen jetzt die harten Tage." Eine kurze Handbewegung, als wolle er den Gedanken an seine obdachlosen Freunde beiseiteschieben, dann lässt Anton seinen Blick durch das Zimmer wandern. Er nickt zufrieden, "mehr brauche ich nicht". So spartanisch kann Glück aussehen: ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen und ein bisschen Privatsphäre - Zufriedenheit. Das Leben kann neu beginnen. Ein Anfang ist gemacht, kein Paradies wird versprochen.

Meine Lebenssituation ist eine andere. Ich ahne, welches Glück ich habe, die Gemeinschaft einer tollen Familie erleben zu dürfen. Drei Mahlzeiten am Tag und eine geräumige Wohnung, warm und gemütlich. Wie selbstverständlich nehme ich das hin. Kalte Füße hole ich mir höchstens beim Warten auf die nächste S-Bahn. Ja, mir geht es gut, und ich kann es genießen - ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Das macht sich bei mir erst breit, wenn ich merke, dass ich die Not anderer ignoriere und dass ihnen vorenthalten wird, was sie zum Leben brauchen: Essen, Kleidung, Wohnung gehören dazu, aber auch Bildung und Kultur sind Teil des Lebens. 40 Jahre führte Gott sein Volk Israel durch die Wüste. Die Sehnsucht nach Freiheit und die Hoffnung auf das gelobte Land hielt sie am Leben. Tägliche Nahrung verhieß indes ein Versprechen Gottes: "Ihr sollt das bekommen, was ihr zum Leben braucht." Und so fanden die Israeliten an jedem Morgen eine Tagesration Essen. Es war etwas Knuspriges, fein wie Reif und mit dem Geschmack von Honigkuchen; sie nannten es Manna, das himmlische Brot. Bis heute ist dieses Manna ein Zeichen für Gottes Willen, dass Menschen das, was sie zum Leben brauchen, bekommen sollen. Anton hat sein Glück gefunden. Und Sie?

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