Neustadt. Unendlich geborgen, angeschmiegt an die Brust des Vaters, so schlief die zwei Monate Clara, sorglos, arglos, selig. Bis ein Schlag den Säugling jäh aus seinem Schlummer riss. Der Kopf des Mädchens flog zurück, es begann zu schreien. Eine völlig fremde Frau hatte die Kleine angegriffen, aus heiterem Himmel, weil sie es schlicht nicht ertragen konnte, dass das Kind so offensichtlich erholsame Ruhe hatte und sie nicht. "Missgeburt", hatte Dominika A. noch gezischt, bevor sie auf das wehrlose Kind einschlug. Es war eine heftige Attacke, die das Baby am Mund leicht verletzte - und seine Eltern schockierte.

Doch aus Sicht von Dominika A., der Frau, die das Baby schlug, ist dies nicht wirklich eine schwerwiegende und grobe Verfehlung. Vorbehaltlos hat die 32-Jährige, die sich jetzt im Prozess vor dem Landgericht unter anderem wegen Körperverletzung verantworten muss, den Angriff auf den Säugling vom Juni vergangenen Jahres eingeräumt. Genau so, wie sie auch mehrere Diebstähle zugibt, bei denen sie ein großes Küchenmesser in einer Tasche bei sich trug. Sie habe das Messer jedoch nicht mitgenommen, um damit Menschen zu bedrohen, sondern um sich gegebenenfalls schützen zu können, betont die Angeklagte. Und auch den Schlag gegen einen Mann, der arglos und leise mit seinem Handy in einer S-Bahn telefonierte, räumt sie unumwunden ein. Doch für besonders gravierend hält die blasse, zierliche Frau mit dem jungenhaften Haarschnitt die Taten nicht. Was habe sie denn schon ernsthaft angestellt? fragt sie ein wenig irritiert, die Stimme wie gehetzt. Ein paar Diebstähle und Körperverletzungen? Niemand sei doch wirklich ernsthaft zu Schaden gekommen, glaubt sie.

Die Angeklagte leidet unter Verfolgungswahn und Schizophrenie

Doch manche sehen das anders. Denn Dominika A. scheint in ihrer ganz eigenen Welt zu leben. Einer Welt, in der es diesen einen sehr bösen Menschen gibt, ihren früheren Arbeitgeber, als sie als Haushaltshilfe arbeitete, einen Mann, der ihr aufs Übelste schaden wolle und der sie bis heute verfolge. Er habe Einfluss bis in höchste Kreise und trachte auch dem Mann, in den sie sich verliebt habe, nach dem Leben, meint die Angeklagte.

Ein psychiatrischer Sachverständiger hat eine psychische Störung aus dem schizophrenen Formenkreis bei der Frau diagnostiziert, sie leide zudem unter Verfolgungswahn, sagt der Gutachter. Das Gericht hat in dem Verfahren darüber zu entscheiden, ob die 32-Jährige eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt und sie deshalb gegen ihren Willen in der Psychiatrie untergebracht werden muss.

Die Eltern des Babys sind bis heute sehr verängstigt und vorsichtig

Und in diesem Zusammenhang ist der Angriff auf den Säugling der zentrale Fall. "Wir standen unglücklicherweise im falschen Moment am falschen Ort", fasst Claras Mutter die Augenblicke zusammen, als die unbeschwerte Welt ihrer kleinen Familie unversehens beschädigt wurde. Die Eltern waren damals am Altonaer Bahnhof, mit ihrem Kind in einem Tragegestell beim Vater an der Brust, und sahen zu, wie Motorräder auf Züge verladen wurden. Urplötzlich sei Dominika A. auf sie zugestürzt, so schnell, dass sie nicht rechtzeitig genug hätten zurückweichen können, erzählt die Zeugin. Die Angreiferin habe mit einer "krallenartigen Bewegung" auf den Säugling eingeschlagen.

"Als ich versuchte, die Frau festzuhalten, hat sich mich gekratzt und geschlagen." Es ist ein einschneidender Moment für die Familie, der die Eltern ängstlicher werden ließ, wenn sie auf die Straße gehen. Auch die aus der Sicht der Angeklagten harmlose Attacke auf den telefonierenden Mann in der S-Bahn hat dessen Leben verändert. Seitdem sei es ihm nicht mehr möglich, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, hat der Zeuge berichtet.

Auch wenn Dominika A. sich selbst als ungefährlich wahrnimmt - mehrere Menschen haben seit ihrer Verhaftung das Aggressionspotenzial der 32-Jährigen zu spüren bekommen. Im Gefängnis schlug sie einer Vollzugsbeamtin ins Gesicht, berichtet diese als Zeugin. Und bei einem Haftprüfungstermin bedrohte die Angeklagte sogar die Richter, sie würden für die zwangsweise Unterbringung "bezahlen". Sie werde sich "rächen, ich kann mein Messer auch benutzen", hat sie den Richtern wütend entgegengeschleudert.

Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft muss die Unterbringung von Dominika A. in einer psychiatrischen Klinik angeordnet werden, beantragt der Ankläger. Und so entscheidet auch das Landgericht in seinem Urteil. Nach Einschätzung der Kammer sei die Frau "für die Allgemeinheit gefährlich. Erhebliche rechtswidrige Taten sind zu erwarten", betont der Vorsitzende Richter. Die Entwicklung ihrer Wahnvorstellungen lasse befürchten, dass sich "gefährliche Angriffe wie der auf den wehrlosen Säugling jederzeit wiederholen können". Er hoffe aber, dass sie sich auf eine Behandlung einlassen und "alsbald" gesund werde.

Doch Dominika A. will von alldem nichts mehr hören. Sie werde das Urteil anfechten, kündigt sie an, und in ihrem Gesicht spiegeln sich Empörung und Zorn.