Nach dem Debakel von Sonntag: Trainer und Sportchef reden sich die Mannschaft schön - und verniedlichen die ernste Lage

"Wir haben ein Tor geschossen. Leider aber der Gegner fünf." Am Tag danach flüchtete sich HSV-Sportchef Frank Arnesen gequält lächelnd schon wieder in fußballerischen Galgenhumor. Wohl wissend, dass im Volkspark zurzeit niemandem zum Lachen ist. Die Klatsche gegen Dortmund hat bei den meisten HSV-Fans für totale Ernüchterung gesorgt. Und die Verantwortlichen wissen wahrscheinlich auch, dass nun wieder Abstiegskampf pur für den HSV angesagt ist. Nur was sollen sie sagen? Sie müssen ja schließlich eine versagende Mannschaft für ein halbes Jahr bei Laune halten. Nur so ist zu verstehen, dass Trainer Thorsten Fink besänftigte: "Lieber einmal 1:5 als viermal 0:1."

Das mag ja sogar stimmen, aber wer sagt denn, dass der HSV sein nächstes Spiel, das beim Abstiegskampf-Mitkonkurrenten Hertha BSC in Berlin stattfindet, nicht mit 0:1 verliert? Wenn garantiert wäre, dass der HSV nach dem nächsten Debakel die folgenden vier Spiele nicht verlieren würde, dann wäre die nächste Lehrstunde für den HSV, die dann am 24. Februar beim Auswärtsspiel in Mönchengladbach auf dem Programm stünde, herzlich willkommen. Aber: Fußball ist zwar ein einfacher Sport, aber ganz so einfach ist er dann doch wiederum nicht.

Neun Spiele lang hatte der HSV in der Bundesliga nicht mehr verloren (eines davon unter Arnesen). Eine solche Serie macht offenbar übermütig. Sogar eine ganze Stadt. Rund um den Jahreswechsel, als der Ball ruhte, wurde hier doch schon wieder von Europa geträumt. Was heißt geträumt? Kommt der HSV zum Rückrunden-Start gut aus den Löchern, dann ist Europa so gut wie gebucht. Und mit jedem (fußballlosen) Tag nahmen Optimismus und Euphorie zu. Egal, wie hart das Startprogramm 2012 auch aussah: neun Spiele unbesiegt, das setzt schließlich Kräfte frei. Vor allem im Kopf. Und da ist es auch egal, dass es bei den acht Begegnungen unter der Regie von Fink nur zwei Siege gegeben hatte. Unbesiegt ist unbesiegt. Zumal der Trainer stets betonte: "Ich habe in diesen Spielen keinen Gegner gesehen, der besser war als wir." Bei dieser Einschätzung ließ Fink auch gerne folgenden Satz einfließen: "Der HSV hat genügend Qualität." Das gesicherte Mittelfeld schien keine Hürde zu sein.

Solche furchtlosen Aussagen müssen dann aber doch eine einschläfernde Wirkung gehabt haben, denn ganz offenbar haben die Herren Profis den Worten des Trainers doch allzu sehr Glauben geschenkt. Motto: "Natürlich haben wir Qualität. Wir sind gut."

Anspruch und Wirklichkeit jedoch klaffen beim HSV schon sehr, sehr lange viel zu weit auseinander. Das dürfte nicht zuletzt jeder HSV-Spieler, der bei dieser Dortmunder Vorführung auf dem Rasen stand, wohl eingesehen haben. Wo war da die HSV-Qualität?

"Dortmund war eine Klasse besser als wir." Gab Kapitän Heiko Westermann zu. Und der Sportchef beschwichtigt: "Alle unsere Spieler hatten einen totalen schlechten Tag, so etwas gibt es, aber das ist abgehakt. Am Sonnabend in Berlin werden wir schon wieder eine ganz andere HSV-Mannschaft auf dem Platz sehen. Da bin ich mir sicher." Und wenn nicht, Herr Arnesen? Dann aber doch spätestens beim nächsten Spiel? Zu Hause gegen den fast übermächtig scheinenden FC Bayern? Egal.

Egal? Der HSV sollte spätestens jetzt ganz schnell aufhören, die prekäre Situation zu verniedlichen. Die Realität ist hart, die Tabelle lügt nicht. Dieser HSV ist so schlecht, wie es Platz 14 besagt. Und: Eine Woche vor dem niederschmetternden 1:5 hätte das HSV-Team beim Drittliga-Klub in Bielefeld mindestens genauso hoch verlieren müssen (siegte aber 1:0). Arnesen sagt jedoch: "Wir haben in neun ungeschlagenen Spielen zuvor sehr guten Fußball gespielt. Mit dieser Mannschaft ..."

Einspruch, Euer Ehren. Sehr gut ist relativ. Unbesiegt, das stimmt; aber über guten, sehr guten, schlechten und nur durchschnittlichen Fußball ließe sich ganz sicher trefflich streiten.

Eine Woche hätte der HSV jetzt noch Zeit, an einer besseren Mannschaft zu arbeiten. Mit dem einen oder anderen Neuzugang könnte noch etwas bewegt oder gerettet werden. Warum nur tut er nichts? Geht der HSV etwa sehenden Auges und voller Naivität in den Untergang? "Unsere Mannschaft ist gut genug." Behaupten Westermann und Arnesen unisono. Allen Gedanken der sehr besorgten HSV-Fans zum Trotz.