Nirgendwo war der Komponist so lange tätig wie hier: eine Chance, seine Musik zu fördern. Das könnte sich bezahlt machen

Die beiden Jubiläumsjahre 2011 zum 100. Todestag des Komponisten Gustav Mahler und 2010 zu seinem 150. Geburtstag sind vorbei. In Hamburg hat sich aus diesen beiden Anlässen aber so manches getan. Sinfonien, Lieder und selbst Raritäten wie Mahlers Fassung der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven sind aufgeführt worden. Es gab zahlreiche Symposien und Vorträge, die Gustav-Mahler-Vereinigung hat für anregende Veranstaltungen gesorgt, neue Publikationen sind aufgelegt worden, und sogar eine neue Fassung der unvollendeten 10. Sinfonie ist vorgestellt worden. Die Aufführungen von Sinfonien in Kammerorchesterbesetzung ermöglichten ungewohnte Zugänge.

Mit diesen und anderen Veranstaltungen war Mahler in den beiden Jubiläumsjahren erfreulich präsent in Hamburg.

Und doch ist nicht zu übersehen, dass andere "Mahler-Städte" Hamburg den Rang ablaufen. In Leipzig vor allem spielte die (Mahler-)Musik. Der Vergleich unterschiedlicher Orchester von Weltrang dort machte deutlich, wie vielfältig die Interpretationsmöglichkeiten mahlerscher Musik tatsächlich sind. Die finanziellen Aufwendungen der Stadt Leipzig für das Mahler-Jubiläum erweisen sich als bestens angelegte Werbekosten.

Aber Hamburg hat ebenfalls viele Chancen. Wenn man bedenkt, dass Gustav Mahler in keiner anderen Stadt Deutschlands so lange tätig war wie in Hamburg während seines sechsjährigen Wirkens, dass hier nicht nur die Stadt seiner 2. Sinfonie ist, sondern dass in diesen Zeitraum auch Vorbereitung, Erarbeitung oder Vollendung anderer Werke fallen, dass eine Wohnung Mahlers hier erhalten ist, dass geschätzte Mahler-Fachleute wie Constantin Floros in Hamburg zu Hause sind, dann sollte Hamburg sich auch in der Mahler-Pflege dauerhaft noch stärker engagieren.

Die Voraussetzungen dafür sind immer noch gut. Die Gustav-Mahler-Vereinigung hat während des Jubiläums gezeigt, welches Potenzial sie zur Entfaltung bringen könnte. Zahlreiche Kulturinstitute der Stadt sind gut aufgestellt. Durch John Neumeier ist Hamburg als Ballettstadt auch mit Choreografien der Musik Mahlers bekannt. Und nicht zuletzt als Perspektive für die Zukunft: Auch die Elbphilharmonie könnte zu einem wichtigen Ort der Mahler-Pflege werden.

Was an Mahlers Musik zu seinen Lebzeiten noch weitgehend befremdlich anmutete, wird heute mit viel Zustimmung wahrgenommen: Seine Musik lotet, mal verstörend, mal beglückend, die Grenzen menschlicher Existenz aus.

Mahler war ein Visionär und mit seinem Komponieren der Zeit weit voraus. Von daher bietet sich seine Musik geradezu an, dass ihr Kompositionen des 20. und 21. Jahrhunderts gegenübergestellt werden, wie das zum Beispiel auf dem Gebiet der Lieder mit Werken des bedeutenden russischen Komponisten Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch geschieht.

So kann Mahler umso mehr vielen Menschen auch Zugänge zu zeitgenössischer Musik neu eröffnen.

Musiker der Gegenwart beschäftigen sich ohnehin mit ihm, wie das Beispiel des Pianisten und Komponisten Uri Caine zeigt. Wenn Hamburg jetzt alle seine Möglichkeiten ausschöpft, können wir nicht nur eine, sondern sogar die Mahler-Stadt in Deutschland werden.