Der Begriff "Heimat" erlebt derzeit eine rasante Renaissance. Das ist zunächst nicht erstaunlich. In einer Zeit, in der sich vieles rasch ändert, in der alles schneller, grenzenloser, ortloser wirkt, entsteht Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Aber warum dann ausgerechnet "Heimat"? Ein Begriff, von dem wir Älteren dachten, ihn längst abgelegt zu haben? Wurde nicht genug unternommen, das Wort "Heimat", das sich so leicht missbrauchen lässt, aus dem öffentlichen Sprachgebrauch zu verbannen? In diesem Zusammenhang sind sich die deutschen Diktaturen doch nichts schuldig geblieben. Beide versuchten, "Heimat" für ihre Zwecke umzumünzen.

Die Blut- und Bodenideologie der Nationalsozialisten setzte gerade am Heimatgefühl an, und die DDR-Ideologen dachten, fehlende politische Identifikation mit dem Sozialismus mit einem neuen Heimatbewusstsein aufbauen zu können. Doch ein politisch korrekter Sprachgebrauch führt nicht zur Verhinderung dessen, was Heimat bedeutet.

Begriffe werden häufig missbraucht. Man erinnere sich an das Gerede des DDR-Regimes vom Frieden oder an den immer wieder missbrauchten Freiheitsbegriff, in dessen Namen die größten Verbrechen begangen wurden. Dennoch besitzen Frieden und Freiheit hohe Wertschätzung. So ist es auch mit Heimat. Als Edgar Reitz in den 80er-Jahren "Heimat" filmisch wieder in den öffentlichen Diskurs einführte, erschien es vielen, als würde ein verloren gegangenes Gefühl geweckt. Heimat wird einem dann zum Thema, wenn sie bedroht ist oder einem verloren gegangen zu sein scheint. Das betrifft Heimatvertriebene in sehr schmerzlichem Maße. Aber es hat auch einen Bezug zu Menschen, die ihren Wohnort nicht verlassen mussten und Heimat doch vermissen.

Heimat ist der Ort der Herkunft. Das kommt in der gemeinsamen Sprache, gebräuchlichen Riten, der Landschaft zum Ausdruck. Er ist zugleich der Ort der Vertrautheit, den man versteht, in dem man verstanden wird, sich geborgen und zugehörig fühlt. So zeichnet sich Heimat vor allem durch soziale Bezüge aus: Familie, Kirchengemeinde, Dorfgemeinschaft.

Heimat ist aber auch ein Zukunftsort. Als 1989 die Menschen in Ostdeutschland die Mauer niederrissen, taten sie es nicht gegen, sondern für ihre Heimat.

Heimat öffnet den Blick für größere Zusammenhänge, um Vertrautes, Bewährtes zu sichern und um Neues in den Blick zu nehmen. Heimat ist ein Wert. Ein im besten Sinne konservativer, zukunftsgewandter Wert. Gilt das auch für die Heimat Europa? Europa ist nach dem Ende des Kalten Krieges wirtschaftlich und politisch gottlob wieder zusammengewachsen.

Es gibt Menschen, die "Heimat Europa" nicht als einen Begriff formulieren würden, die die Vereinigung höchstens als institutionelle Verbundenheit sehen, mehr ein Zusammenleben zu gleichen Bedingungen, in kultureller Verbundenheit.

Ab wann ist Heimat Heimat? Wenn Vertrauen, Verbundenheit, Gefühl dazukommen. Nicht in Konkurrenz zur Region, aus der man stammt, sondern in Ergänzung. Die freiheitlichen und demokratischen Werte Europas, sein jahrtausendealtes geistiges Erbe können Rahmen für Heimat sein. Füllen werden es die Menschen. Unsere Nachbarn in Tunesien, Ägypten oder Syrien setzen ihr Leben aufs Spiel für Werte, die Europa hervorgebracht hat, für gutes Leben und Wohlstand, wie es Europa seinen Bürgern im letzten Jahrhundert ermöglichte. Viele dieser Menschen verlassen ihre Heimat, um eine neue Heimat zu finden. So viel Mut hilft uns zu erinnern, dass unsere Heimat nicht nur vor unserer Haustür liegt. Und dass Heimat nicht einfach so da ist. Wir müssen sie uns immer wieder neu aneignen. Wer eine Heimat hat, ist neugierig auf das, was ihm die Welt bietet. Sie wird ihm nicht zur Bedrohung, sondern zur Aufgabe. Unsere Heimat gründet auf europäischer Gemeinsamkeit.

"Mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen", nannte das Phänomen vor 100 Jahren der Hamburger Dichter Gorch Fock - das Motto, das das Hamburger Abendblatt von der ersten Ausgabe an auf seiner Titelseite begleitet. Es ist Zeit, dass wir Europäer aus unserer Liebe zur Heimat den Mut zur Gestaltung der Zukunft schöpfen.