Was für ein menschliches Format muss man eigentlich heute mitbringen, wenn man ein offizielles Amt, eine Position einnimmt? Natürlich integer leben, bescheiden sein, klug, umsichtig, ohne Mätzchen im Vorleben. Aber wo lernt man das? Zu Hause? In der Schule? In der Partei - und wenn ja, in welcher?
In Zeiten, in denen die Menschheit das Wasser noch aus der Dorfmitte holte und in Stände gegliedert war, wurde man etwas, wenn man ins Kloster ging, zumindest in dessen Schule.
Staatliche Bildung gab's ja noch nicht. Da lebte man dann in einer relativ kargen Zelle, rieb sich die Hörner an den anderen, fügte sich in einen seltsamen Zusammenhang aus Gehorsam und Freiheit - und das alles ohne Geld und Sex. Jedenfalls meistens.
Kann es sein, dass sich Charakter wider Erwarten doch ausbildet durch Widerstand, Aushalten, Besonnenheit und solche seltsamen Prinzipien?
Spiritualität war das Grundgerüst von allem. Spiritualität, ja sogar die Demut im Gebet war die sicherste Art, über den Sinn des Ganzen nachzudenken, den Sinn des Staats, der Gemeinschaft, der eigenen Biografie.
Wer beten lernte, lernte sich einzufügen in Unbegreifliches. Auf diese Weise etwas vom "Sinn des Ganzen" zu ahnen, das hat vielen Menschen auch später geholfen, durchzuhalten, wenn es global schwierig wurde - beispielsweise Staatsleuten, Weisen und Kardinälen, die etwas zu sagen hatten.
Wie wird man heute politisch eine Größe? Brauchen die Parteien starke Charaktere? Können sie mit denen überhaupt etwas anfangen? In nunmehr zwölf Schuljahren sind künftige Leitende durch einen Wust von Wissensstoff gejagt worden, dann durchs Studium, alles fix und effizient. Charakterbildung? Keine Zeit.
In welchem Arbeitsfeld darf man heute Scheitern üben, damit sich Reife bilden kann? Und wie wird man alt, ohne gemütsmäßig und intellektuell abzuhalftern?
Vermutlich kommen auf die Kirche noch einige Aufgaben zu, die anderswo dem Effizienzwahn geopfert werden. Denn sie verkörpert immer deutlicher die scheinbar "nutzlose" Seelen-Schule, sie erinnert an das Ganze, sie hilft, die "Süchte nach mehr" zu regulieren und hält die Hand stärkend in den Rücken, damit Funktionierende zu Personen mit Charakter reifen können.