Auszüge aus der Rede von Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider

Altona. "2012 wäre Axel Springer 100 Jahre alt geworden. Es freut uns sehr, heute den Startschuss in dieses besondere Jahr geben zu dürfen. Dass dies hier geschieht, passt perfekt, weil Axel Springer keine Zeitung so geliebt hat wie sein Abendblatt. 'Die Abendblatt-Zeit', hat er gesagt, 'war die Zeit meiner eigentlichen Liebe zum Beruf.' Würde er noch leben, sagte ich ihm: So geht es uns in der Redaktion bis heute. (...)

Als neuer Chefredakteur bin ich oft gefragt worden, was mein Konzept für das Abendblatt sei. Die Antwort ist einfach, weil sie täglich mit der Zeitung geliefert wird. Sie steht im Titelkopf: Mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen. (...) Das Abendblatt ist ein Stück Hamburg, wie der Hafen und die Alster, ein Lebensgefühl. Für unsere Reporter heißt das: Raus aus der Redaktion, rein in die Bezirke, Stadtteile, Landkreise, Dörfer. Schon jetzt kommen viele Kollegen gar nicht mehr in die Zentrale, sondern sind die ganze Zeit unterwegs. Um die Geschichten von denen zu erfahren, die sie betreffen, von den Leserinnen und Lesern. (...)

Ich will noch einen Blick auf die großen Themen des Jahres werfen. Das sei die Pflicht jedes Abendblatt-Chefredakteurs, wurde mir gesagt. Eingeschüchtert fragte ich zurück: Ich muss Anfang des Jahres wissen, was im Laufe des Jahres die großen Themen sein werden? Ja, wurde mir gesagt. Sie sind schließlich Abendblatt-Chefredakteur!

Nun freut es mich natürlich, was man dem Inhaber dieser Position zutraut. Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob ich vor einem Jahr vorausgesagt hätte, dass Deutschland sich 2011 aus der Atomenergie verabschiedet, dass die SPD in Hamburg allein regiert und dass sämtliche Doktorarbeiten des Landes auf Plagiate untersucht werden. Gut, dass der HSV den Trainer wechselt, hätte ich mit Sicherheit prophezeit; dass die Kosten für die Elbphilharmonie steigen, auch. Aber sonst? Prognosen sind schwer, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen, und deshalb versuche ich es gar nicht erst. Ich will Ihnen aber verraten, welche Themen unsere Leser am stärksten interessieren.

Da ist zunächst alles, was mit Helmut Schmidt zu tun hat, Sie wissen schon: unserem eigentlichen Staatsoberhaupt. Wie groß dessen Bedeutung ist, verrät eine kleine Geschichte aus dem vergangenen Herbst. Nach einer Diskussionsrunde spricht ein hochrangiger Banker den Altkanzler an. ,Herr Schmidt', sagt er nervös, ,ist der Euro in Gefahr?' Schmidt zieht an seiner Zigarette, schaut hoch und sagt: ,Nein.'

Für einen Moment denke ich, der Banker wird dem Altkanzler um den Hals fallen, doch dann sagt er nur seufzend: ,Ein Glück! Jetzt wird alles wieder gut.' Womit bewiesen wäre: Helmut Schmidt löst wirklich jedes Problem.

Zurück zu den stärksten Themen Hamburgs. Auf Platz eins: bezahlbarer Wohnraum. Olaf Scholz hat richtig erkannt, dass dieses Thema die nächste Bürgerschaftswahl entscheiden könnte. Doch schon 2012 steht der Senat vor einer schwierigen Frage: Wie verhindert man, dass nahezu jedes neue Wohnprojekt einen Bürgerentscheid provoziert? Wie weit darf, wie weit muss die Bürgerbeteiligung gehen? (...)

Auf Platz zwei: Schulthemen. Volksentscheid hin, Schulfrieden her - die Diskussion über die Qualität der Schullandschaft dauert an. (...) Auf Platz drei landet schließlich die Frage, die die Stadt in fast schon folkloristischer Begeisterung eint: Wann eröffnet die Elbphilharmonie, und wenn ja, für wie viele Milliarden, Verzeihung Millionen? Seien wir ehrlich: Es gibt kein Zurück mehr, und deshalb sollten wir uns auf das neue Wahrzeichen freuen. Es bleibt für 2012 die Frage, welchen Umgang Politiker und Journalisten pflegen sollten. Wir in Hamburg haben da eine altmodische Einstellung: Man spricht miteinander, so, wie sich das gehört. Mit Respekt vor der demokratischen Funktion des anderen, immer freundlich, nie freundschaftlich. Und meistens rufen die Journalisten die Politiker an."