Hamburg braucht eine Mindestbeteiligung bei Volks- und Bürgerentscheiden

Mehr Einfluss auf die Hamburger Politik dürfte noch nie ein Verein gehabt haben. "Mehr Demokratie" heißt die Gruppierung, vor der sämtliche Parteien in der Bürgerschaft regelrecht Angst zu haben scheinen. Anders ist es nicht zu erklären, dass jetzt alle Fraktionen im Parlament gemeinsam eine Novellierung der Bürgerentscheide anschieben, den entscheidenden Reformschritt aber verweigern. Aus Angst vor einem Referendum des Vereins verzichtet das Parlament darauf, eine Mindestbeteiligung einzuführen, sogenannte Quoren. Treffender kann man den fehlenden Mut vor Konfrontation nicht ausdrücken, als es ein Abgeordneter tat, als er jüngst sagte: "Es ist besser, den Spatz in der Hand zu haben als die Taube auf dem Dach." Um im Tierleben zu bleiben: Hier wedelt der Schwanz mit dem Hund.

Worum geht es? "Mehr Demokratie" hat Ende der 1990er-Jahre per Volksentscheid mehr Bürgerbeteiligung durchgesetzt. Unterschieden wird zwischen Volks- und Bürgerentscheiden. Bei Volksentscheiden stehen Hamburgweit relevante Themen zur Abstimmung, bei Bürgerentscheiden auf Bezirksebene geht's meist darum, lokale Bauprojekte zu verhindern.

Der Volksentscheid gegen die schwarz-grüne Schulreform an sich - um die Bewertung des Ergebnisses geht es hier nicht - zeigt, wie richtig plebiszitäre Elemente sein können. Ohne dass die sechsjährige Primarschule in einem Wahlprogramm gestanden hätte, wollten CDU und GAL diese durchsetzen. Rund 40 Prozent der Hamburger machten mit beim Volksentscheid, 20 wären nötig gewesen. Die Beteiligung war höher als in anderen Bundesländern bei "normalen" Wahlen und legitimierte so auch den Volksentscheid an sich.

Diese Legitimation fehlt vielen der bislang knapp 100 Bürgerentscheide nach dem Motto: Wohnungsbau ja, aber bitte nicht bei uns. Hier reicht die einfache Mehrheit der egal wie wenig abgegebenen Stimmen, um Schandflecke wie rund um den Bahnhof Hoheluft zu erhalten oder neue Wohnungen zu verhindern. Oft überlagern so Einzelinteressen das Gemeinwohl - wie zuletzt in Hamburg-Nord, wo sich gerade 14 Prozent an einem erfolgreichen Bürgerentscheid gegen Wohnungsbau in Langenhorn beteiligten.

Volksentscheide sind Notlösungen, wenn die Verständigung zwischen Bürgern und Politik gescheitert ist, hat einer der Vordenker von "Mehr Demokratie" zu Recht gesagt. Der Mensch von heute, gern ist die Rede vom mündigen Bürger, will mitgenommen, eingebunden werden in Entscheidungsprozesse, will mitreden, mitgestalten, statt murrend hinzunehmen. Frühzeitige Informationsveranstaltungen, ergebnisoffene Moderationsverfahren sind heute nötiger als je. Diese Form der Bürgerbeteiligung wird - auch Dank "Mehr Demokratie" - jetzt mit der Gesetzesnovelle ausgeweitet. Aber am Ende eines Moderationsverfahrens muss eine Entscheidung stehen. Eine verbindliche Aussage, die Investoren Klarheit bringt.

Hamburg ist eine pulsierende Stadt. Die Dynamik des Wachstums und damit das Wohlergehen der Menschen darf nicht durch Minderheiten-Entscheidungen gefährdet werden. Quoren von beispielsweise 20 Prozent wären nicht nur eine sinnvolle Hürde gegen den Widerstand der Nachbarschaft gegen ein Bauprojekt, sondern auch eine Legitimation des Entscheids bei Erfolg.

Zumindest SPD, CDU und FDP sind für Mindestbeteiligungen. Mutig wäre es, wenn diese Mehrheit im Parlament bei der anstehenden Gesetzesänderung nicht nur Kosmetik betreiben würde - wie geplant. Falls sie jetzt noch zu ängstlich ist, bleibt bis zum Ende der Legislaturperiode Zeit für einen zweiten Anlauf zur Reform der Bürgerbeteiligung. Sollte es nicht gelingen, "Mehr Demokratie" von der Notwendigkeit einer Mindestbeteiligung zu überzeugen - sollte das Parlament Mut zur Konfrontation zeigen.