Allem Krisengerede zum Trotz liegen zwei Erfolgsjahre hinter uns. Fast jeder zweite Hamburger erwartet, dass 2012 noch besser wird

Die Maya und die Medien haben einiges gemeinsam: Sie erwarten für 2012 den Weltuntergang. Das Volk der Maya, der mittelamerikanischen Hochkultur, hat als Argument eine mysteriöse Inschrift aus Mexiko und seinen Kalender: Dieser endet angeblich am 21.12.2012.

Viele Politiker und vermeintliche Experten aus der Wirtschaft benötigen gar keinen Maya-Kalender, um seit Monaten in Talkshows von nichts anderem als dem Weltuntergang zu reden - und längst überschlagen sich auch viele Journalisten mit Untergangsszenarien. Euro-Dämmerung, Schuldendesaster, Europa am Abgrund, Weltwirtschaftskrise, Depression.

Die Zeitschriftenauslagen im Bahnhofskiosk werden zur Vorhölle: Schon im Januar 2010 fragte etwa die "Wirtschaftswoche": "Platzt der Euro?", im Mai 2010 schalteten die Kollegen als Antwort eine Todesanzeige auf dem Cover. Trotzdem langte es im Jahr noch zu zwei weiteren Euro-Titelgeschichten. Im Juni 2011 lautete die Frage "Zerbricht der Euro", im Juli folgte "Der Euro-Crash". Und vor gut zwei Wochen lachte auf dem Umschlag die selige Clara Schumann vom alten 100-Mark-Schein unter der Zeile "Claras Rückkehr". Ähnlich bunt trieben es auch die Blattmacher des "Spiegel": Im März 2010 verkündeten sie die "Euro-Lüge", im Mai war "Euroland abgebrannt", im Dezember 2010 wurde "Zum letzten Gefecht" gerufen. Ein halbes Jahr später erschien der "Nachruf auf eine gemeinsame Währung", im August der "Geltuntergang", im September die "Geldbombe" - und am 29. November über einem zersplitterten Euro die Frage "Und jetzt?"

Gute Frage. Und jetzt? Wie steigert man eigentlich Weltuntergang?

Seit zwei Jahren taumelt Europa angeblich am Abgrund, aber kommt keinen Schritt voran. Und allem Krisengeheul zum Trotze liegen hinter den Deutschen zwei fette Jahre. Im Einzelhandel sieht man nach dem Weihnachtsgeschäft allüberall zufriedene Gesichter, Maschinenbau, Automobilindustrie oder Chemie erfreuen sich an Rekordumsätzen im Jahr 2011.

Die Wirtschaft wuchs im ersten Euro-Krisenjahr um 3,7 Prozent, im zweiten Euro-Krisenjahr um immerhin noch rund drei Prozent. Und auch der Euro selbst, der schon seit 18 Monaten vermeintlich nur noch im Todeskampf zuckt, hat sich seit Sommer 2010 von gut 1,20 auf knapp 1,30 Dollar verteuert. Die Inflation, dieses nationale Trauma, liegt in Deutschland noch ferner als der Weltuntergang: 2010 stiegen die Preise um lächerliche 1,1 Prozent, im vergangenen Jahr um 2,3 Prozent. Krise sieht anders aus.

Möglicherweise liegt es daran, dass die Deutschen optimistischer ins neue Jahr gehen als viele Experten und Auguren. Fragt man beispielsweise die Hamburger, erwartet einer Umfrage von Harris zufolge fast jeder Zweite, dass es ihm 2012 besser oder noch besser gehen wird. 41 Prozent glauben, dass ihre Situation sich nicht wesentlich ändern wird. Dabei werden die Gefahren nicht übersehen: Drei Viertel fürchten eine weitere Zuspitzung der Euro-Krise (was zumindest viele Medienleute freuen dürfte), 46 Prozent rechnen mit einer Konjunkturabschwächung.

Allen abstrakten Gefahren zum Trotz gehen die Deutschen mit Zuversicht ins neue Jahr. Interessanterweise scheint von der German Angst, dieser spezifischen deutschen Schwarzseherei, nicht gerade viel geblieben zu sein: Damit werden ausgerechnet wir Deutschen zu den Hoffnungsträgern - getreu dem Satz Ludwig Erhards, wonach 50 Prozent der Wirtschaft Psychologie sind.

Die neue deutsche Zuversicht ist für die Konjunktur hierzulande und damit für Europa eine gute Nachricht, die das schrille Krisengeheul übertönen könnte.

Die Wirtschaft in ganz Euro-Land hofft auf den deutschen Konsum, auf großzügige Einkäufer, spendable Reisende, mutige Investoren. Bei allen durchaus lauernden Gefahren ist der Alarmismus, die Apokalypse, das Armageddon überzogen.

Ja, es ist angesichts der wirklichen Krisen in der Welt, ob in Fukushima oder in Syrien, auch geschmacklos. Man darf die Dinge nicht schönreden, man muss sie aber auch nicht schwarzmalen.

Trösten wir uns mit Erich Kästner: "Wird's besser? Wird's schlimmer? fragt man alljährlich. Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich!"

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt