Der Hamburger Sammler und Mäzen hält die Kritik des Künstlers, der im Zorn von Hamburg nach Berlin wechselt, für völlig überzogen und nimmt die Politik in Schutz

Daniel Richter zieht es mit seiner Frau Angela nach Berlin. Das ist keine Schreckensmeldung, eher Normalität. Künstler und Kulturschaffende sind vom Stamm der fahrenden Völker.

In Hamburg hatte er, wie er selbst sagt, nur ein Interimsatelier; Berlin, das er "nicht ausstehen" kann, wird wohl eine weitere Zwischenstation. Es ist die Art und Weise seines Abschieds, die zu einem Kommentar herausfordert. Richter meint, hier sei es wahnsinnig langweilig. Umso erstaunlicher sein wutgeladener Rundumschlag gegen die für die Kultur Verantwortlichen. Alle Register der Schmähkritik werden gezogen.

Von Merkantilisierung der Kultur und Dumpfbackenveranstaltungen ist die Rede. Auch persönliche Invektiven wie Machtgier und Inkompetenz bleiben nicht ausgespart. Es ist offenbar doch nicht so langweilig in Hamburg.

Daniel Richter ist Künstler und hat von seinem Werk her und auch menschlich meine volle Unterstützung. Mit etwas Abstand wird er einsehen, dass seine Kritik völlig überzogen ist und nicht zuletzt auch die langjährige Arbeit der zehn oder 20 "sympathischen Mäzene", die er großzügigerweise von seinem Verdikt ausnimmt, beschädigt. Die Kunsthalle hat ihm - noch organisiert vom ehemaligen Leiter der Galerie der Gegenwart, Christoph Heinrich - eine Werkschau retrospektiven Charakters ausgerichtet, die danach mit großem Erfolg in Denver gezeigt wurde.

Nicht zuletzt mit Unterstützung des Hamburger Traditionsunternehmens Montblanc sind wichtige Arbeiten von ihm in die Sammlung übernommen worden. Dies alles tatkräftig begleitet von den inkriminierten Kulturverantwortlichen. Die Wogen werden sich glätten. Vieles von dem, was Daniel Richter gesagt hat, betrifft ganz persönliche Konflikte, die sich aus seinem anarchischen Selbstverständnis als ehemaliger Hausbesetzer und seiner heutigen Position als international reüssierter Künstler mit Höchstpreisen für seine Werke ergeben. Hamburg wird für Daniel Richter eine wichtige Station bleiben und wir werden seine künstlerische Entwicklung aufmerksam verfolgen. Zu Recht sagt er, er sei kein Kulturpolitiker. Dann hätte er sich 90 Prozent seiner Ausführungen sparen können.

Wir - gewiss nicht alle - mögen ihn trotzdem. Vielleicht wird er irgendwann sogar die Langeweile wieder schätzen, die Basis jeder guten Arbeit ist. "Die Kulturpolitik hier ist ein Desaster", zitierte das Abendblatt den Künstler in der Überschrift. Mit Verlaub, ich bin da ganz anderer Meinung. Hamburg hat mit der Galerie der Gegenwart, den Deichtorhallen und Kampnagel weltweit Maßstäbe gesetzt. Die Unterstützung des Kunstvereins, der 1817 gegründeten ältesten Kunstinstitution der Hansestadt, hat ermöglicht, dass der Kunstverein bis heute eines der führenden Häuser für junge Gegenwartskunst ist. Und es gibt viele weitere Beispiele, vom Museum für Kunst und Gewerbe und dem Kunsthaus bis hin zur Hochschule für bildende Künste.

All diese Institutionen und einige mehr, die hier nicht erwähnt sind, leisten Basisarbeit in Sachen Kultur und müssen unterstützt werden. Für den Senat und die Kulturbehörde ist das eine Mammutarbeit, die, unabhängig von der Wirtschaftskrise, auch Neuorientierungen und Einschnitte erforderlich macht. Die wichtigste und für den Haushalt der Stadt schmerzhafteste Entscheidung ist die Elbphilharmonie. Es ist ein futuristisches Bauwerk, konzipiert von Architekten, die weltweit zu den Besten zählen. Es ist der Wagemut, der eine international orientierte Stadt wie Hamburg seit jeher ausgezeichnet hat. Wir sollten dazu stehen. Zukünftige Generationen werden uns das danken.

Hamburg und Berlin sind für die Entwicklung der bildenden Kunst Meilensteine. In diesen Städten entwickelte sich ab Mitte der 70er-Jahre eine Kunstszene, die Köln und Düsseldorf, den traditionellen Hochburgen deutscher Nachkriegskunst, den Kampf ansagte. Heute ist Berlin unbestritten Zentrum der Gegenwartskunst. Aus aller Welt zieht es die jungen Künstler in diese Stadt, nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen. Es gibt viel Leerraum und billige Mieten. Angefangen hatte es in Hamburg, wo prominente Künstler wie Hanne Darboven, Anna Oppermann, Sigmar Polke und Dieter Roth arbeiteten und Punk als Musik einer Jugend, die an nichts mehr glaubte, das Feld beherrschte. Es entwickelte sich eine subversiv-dadaistisch geprägte Kunst, die unser Gesellschaftssystem mit Ironie, Satire und Spott überzog. Für diese Richtung stehen in Hamburg ausgebildete und dort wirkende Künstler internationalen Rangs wie Werner Büttner, Georg Herold, Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Andreas Slominski, später John Bock, Christian Jankowski, Jonathan Meese und eben Daniel Richter.

Die Zahlenspiele und Indiskretionen der letzten Wochen haben keinem geschmeckt. Es ist an der Zeit, sich auf die Leistungen zu besinnen, die die Hamburger Kultur erbracht hat und noch erbringen muss. Dazu gehört das Selbstverständnis im Umgang mit Berlin. Wir haben allen Grund, die Kultur der Hauptstadt nicht als Konkurrenz, sondern als Bereicherung anzusehen. Was Berlin an internationaler Kunst bietet, könnte Hamburg mit seinen vielfältigen Institutionen für junge Gegenwartskunst sinnvoll ergänzen. Ich würde mir wünschen, dass der historische Beitrag der Künstler und Kulturschaffenden beider Städte zur Kunst der letzten 30 Jahre in einer Ausstellung Berlin-Hamburg, Hamburg-Berlin gewürdigt wird. Dann wäre auch Daniel Richter gefordert - ganz unabhängig davon, ob er nun hier oder dort arbeitet.