Luc Jochimsen ist das, was man eine Salon-Sozialistin nennen könnte. Eine Frau aus dem Westen, die bei dem Soziologen Helmut Schelsky promoviert und später lange für das Politmagazin "Panorama" gearbeitet hat und nach ihrem Abschied aus der Chefredakteursetage des Hessischen Rundfunks der PDS beigetreten ist. Einer Partei, von der sie meinte, dass sie seitens des Westens zu Unrecht "stigmatisiert" worden sei. An ihrer verqueren Betrachtungsweise hat sich bis heute nichts geändert. Ausgerechnet am 17. Juni, dem Jahrestags des Volksaufstandes in der DDR, hat sich die 74-Jährige zu der Behauptung verstiegen, die DDR habe zwar unverzeihliches Unrecht an ihren Bürgern begangen, sei aber "nach juristischer Definition ... kein Unrechtsstaat" gewesen. Und weil sie gerade in Fahrt war, hat Jochimsen auch noch erklärt, Joachim Gauck sei "unversöhnlich". Da erübrigt es sich fast schon zu sagen, dass Luc Jochimsen seit Langem für die Abschaffung der Stasi-Überprüfungen eintritt.

Gauck, der ehemalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, und Jochimsen werden sich am 30. Juni gegenüberstehen. Die Linkspartei hat Jochimsen trotzig als Kandidatin für die Bundespräsidentenwahl nominiert, kurz nachdem SPD und Grüne beschlossen hatten, Joachim Gauck gegen Christian Wulff (CDU) ins Rennen zu schicken. Weil Gauck für die SED-Erben eben immer noch ein rotes Tuch ist. So sehr, dass sich Oskar Lafontaine Anfang der Woche zu der schmutzigen Bemerkung hinreißen ließ, "der protestantische Pfarrer Gauck" habe zu jenen gehört, "die von der Staatssicherheit auch Privilegien erhalten" hätten.

Jochimsen, die nach eigenen Worten eine "Friedensstifterin" und eine "Vereinigerin von Ost und West" sein will, ist ohne Chance. Im ersten, im zweiten und auch im dritten Wahlgang, in dem - wenn es denn dazu käme - die einfache Mehrheit entscheiden würde. In dem es dann aber auch zu der Absurdität kommen könnte, dass Gauck mithilfe der Linkspartei Bundespräsident werden könnte. Zwar hat Fraktionschef Gregor Gysi erklärt, Gauck habe den "Fehler" begangen, Nazidiktatur und SED-Regime fast gleichzusetzen, "und deshalb ist er für uns auch heute nicht wählbar", aber einige in der Partei sehen das offenbar anders. Zum Beispiel Fraktions-Vize Dietmar Bartsch oder Thüringens Landeschef Bodo Ramelow. Denen kommt es mehr darauf an, die schwarz-gelbe Bundesregierung mit ihrem Kandidaten Wulff scheitern zu sehen.

Fragt sich, was Gauck tun würde, wenn er in diese Situation geriete. Der Mann, der für seine Arbeit mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern ausgezeichnet wurde und die Ehrendoktorwürde der Universitäten Rostock, Jena und Augsburg trägt.

Gauck, den die "Frankfurter Allgemeine" einst den "Organisator der Wahrheitsfindung" nannte, ist von Oktober 1990 bis Oktober 2000 Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen gewesen. Danach wurde er Vorsitzender des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie". Der widmet sich der Aufarbeitung des Nationalsozialismus und der DDR-Geschichte und ist einigen Damen und Herren in der Linkspartei ein ständiger Dorn im Auge. Vermutlich hat die Linksparteivorsitzende Gesine Lötzsch Gauck deshalb böse als "Mann der Vergangenheit" bezeichnet, von dem keine Impulse für die Zukunft ausgingen. Am Alter kann es jedenfalls nicht liegen. Gauck ist immerhin vier Jahre jünger als Jochimsen.

Sehr deutsch ist dieses ungleiche Duell. Geprägt von unversöhnlicher Rechthaberei, aber auch von lauteren Motiven. Denn dass es Gauck wie Jochimsen um die Moral geht, wird niemand bestreiten, der die beiden kennt. Und wenn sie auch von den entferntesten Polen der jüngsten deutschen Geschichte zu kommen scheinen, so haben sie doch eines gemeinsam: das Schreiben. Beide haben bereits mehrere Bücher publiziert. Gauck veröffentlichte unter anderem seine Erinnerungen, Jochimsen zuletzt eine Biografie über Theodor Herzl. Er schreibt in Berlin, sie in einem jahrhundertealten Gemäuer im fernen Veneto, das vor ihr Francesco Petrarca bewohnte. Von dem stammen nicht nur die unsterblichen Gedichte an Laura, sondern auch diese Zeilen: "Auf den Gipfel ist das Ziel und das Ende unseres Lebens, auf ihn ist unsere Wallfahrt gerichtet." Jochimsen wird sehr genau wissen, dass ihr Gipfel nicht im Berliner Tiergarten steht.