Marianne Heuwagen ist Deutschland-Direktorin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

Hamburger Abendblatt:

1. Erstmals seit 14 Jahren ist in den USA wieder ein Mann durch Erschießen hingerichtet worden. Wie wird das wahrgenommen in der Welt?

Marianne Heuwagen:

Die Erschießung lenkt erneut die Aufmerksamkeit darauf, dass diese grausame und inhumane Strafe in vielen Bundesstaaten der USA immer noch praktiziert wird, und dies obwohl die amerikanische Verfassung grausame und ungewöhnliche Bestrafungsarten verbietet. Was die Todesstrafe betrifft, so befindet sich die USA weltweit in schlechtester Gesellschaft, und zwar mit Ländern wie China, dem Iran oder Pakistan.

2. Ist Erschießen unmenschlicher als andere Tötungsarten, etwa die Giftspritze?

Das ist für uns eine sehr schwierige Frage, denn wir lehnen die Todesstrafe grundsätzlich ab. Die Zusammensetzung der Giftspritze kann zu einem äußerst qualvollen, langen Todeskampf führen. Würde man in den USA heute einen Hund auf diese Weise töten, dann würde man wohl wegen Tierquälerei belangt. Leider ist die Spritze wegen der Zeugen, die bei der Vollstreckung von Todesurteilen anwesend sein müssen, weit verbreitet. Die kriegen ja nicht mit, wie der Todeskandidat leidet.

3. Hat die Todesstrafe die abschreckende Wirkung, die man erreichen will?

Zahlreiche Untersuchungen haben nachgewiesen, dass dies nicht der Fall ist. Die amerikanische Praxis hat sogar gezeigt, dass manchmal besonders schlimme Taten bewusst in jenen Bundesstaaten verübt werden, wo es die Todesstrafe gibt.

4. Wie erklären Sie sich, dass die Todesstrafe auch in vielen westlichen Gesellschaften auf Zustimmung trifft?

Viele Menschen sinnen nur auf Rache und Vergeltung. Sie bedenken nicht, dass diese besonders grausame und unwiderrufbare Strafe mit den Menschenrechten nicht vereinbar ist. Sie bedenken auch ferner nicht, dass es Justizirrtümer geben kann. Die Erfahrung hat aber leider gezeigt, dass in der Vergangenheit viele unschuldige Menschen hingerichtet worden sind. Schätzungen zufolge soll es in den USA seit 1976 bis zu 100 Fehlurteile und Hinrichtungen von Unschuldigen gegeben haben.

5. Wie realistisch ist es, dass die Todesstrafe eines Tages weltweit geächtet wird?

Human Rights Watch fordert weltweit die Abschaffung der Todesstrafe. Wir hoffen sehr, dass dies auch in nicht allzu ferner Zukunft geschieht. Derzeit wird sie in Zweidrittel aller Länder nicht mehr praktiziert. Und wir haben erreicht, dass die Todesstrafe für Jugendliche weltweit geächtet wurde. Sie werden heute noch in fünf Ländern hingerichtet - das muss eingestellt werden. Auch in den USA sind Todesurteile gegenüber Jugendlichen verboten.