Der Hamburger Hinnerk Bodendieck porträtiert den Stadtteil St. Pauli mit dem Pinsel. Ein Streifzug über seinen sündigen Arbeitsplatz.

Hamburg. In aller Unschuld hat die Barbetreiberin Luciene dos Santos auf dem geriffelten Aufgang zu ihrem Etablissement Platz genommen, die Sonne scheint, und es ist Mittag. Zeit für eine Pause. Neben der Chefin palavert eine ältere Mitarbeiterin, sie hat ein flottes Mundwerk und unterhält die Laufkundschaft. St. Pauli läuft hier übers Trottoir, ein Stadtteil in all seinen Schattierungen: Damen, die nach Halbwelt aussehen, Handwerker in Blaumann, Deutschtürken mit dem Handy am Ohr und Tagediebe mit Bierflasche am Hals. Es ist eine typische Reeperbahn-Szene, sie leuchtet jetzt nicht, die Meile. Sie ist geschäftig und bräsig zugleich, das Amüsiervolk macht Pause. Nur vereinzelt laufen erstaunlich selbstsichere Männer ins Sexkino. Hinnerk Bodendieck fährt mit dem Pinsel über seine Leinwand.

Er tupft sein Porträt so dahin, Impressionismus "Made in St. Pauli". Nach einer Dreiviertelstunde ist das Bildnis der Kiezdame fertig, die seit zehn Jahren die Geschicke der Bar bestimmt. Nebenan ist die Große Freiheit, und nicht nur Touristen bleiben stehen, um dem Künstler über die Schulter zu schauen. Bodendieck, 45, der Altonaer Maler mit ordentlichem Portfolio, kann das: mit den Leuten schnacken. "Man kennt mich hier jetzt so ein bisschen", sagt er, und dann wird die Mitarbeiterin seines Models, die Matrone mit der großen Klappe, auch schon frech. Das stimme ja alles nicht, was er da so zeichne, sagt sie. Bodendieck grinst nur.

Überreden muss er nicht, die Leute sind stolz hier auf das, was sie sind. Bodendieck ist seit Januar auf dem Kiez unterwegs gewesen, tagsüber, öfter aber nachts. Über 100 Bilder sind seitdem entstanden, St.-Pauli-Momente in Öl. Eine Dokumentation des Stadtteils, romantisch (oder eben gerade nicht), mit seinen Menschen und Orten. Die Exkursionen und Ortsbegehungen folgten nicht nur einem künstlerischen, sondern auch einem sozialen Interesse. Wenn man dem jugendlich wirkenden Familienvater, der schlaksig ist und Jeans trägt, lauscht, bekommt man natürlich den Eindruck: Hier nähert sich jemand mit Sympathie seinem Objekt.

Die Nutte am Hans-Albers-Platz, die Barleute in Susis Show Bar, die Dame vom Transenstrich, die Klofrau am Vermaaster. Die Fans bei der Aufstiegsfeier des FC St. Pauli, die Ausgehmassen auf der Reeperbahn und die schönen Frauen, die ihre Körper verkaufen: Bodendieck, der schon viele Menschen und Landschaften malte, hat die Stadt gemalt, so, wie sie sich ihm auf dem Kiez dargeboten hat: realistisch und dabei impressionistisch. In der Tradition von Zorn und Seargant, so malt der in Hamburg geborene Bodendieck seine Bilder. In der Hochschule war sein Stil nicht angesagt, dort ging es ums Moderne, eher Expressionistische. Bodendieck, der an der HAW für Gestaltung in der Armgartstraße viele Jahre lehrte, hat sich nicht beirren lassen.

Das aktuelle Ergebnis seines Weges sind die St.-Pauli-Bilder, derzeit sind sie in der Galerie Elbchaussee zu sehen. Der Maler hat sie sich auf gewisse Art auch abgerungen, denn derlei Projekte gehen an die Substanz. Da kommt es schon mal vor, dass man in einer Freitagnacht von Jugendlichen (Bodendieck nennt sie "Jungstiere") angepöbelt wird oder im Nieselregen auf dem Fischmarkt steht, morgens um acht, und den Pinsel vergessen hat. Und wer in Öl malt, der merkt früh, dass die Abbildung der Neonlichter, die den Kiez beleuchten, schwerlich umsetzbar ist.

Viel wichtiger für sein Projekt als handwerkliche Kniffe, sagt Bodendieck, sind die vom Zufall gesteuerten Begegnungen. Man muss nur ein paar Minuten mit ihm unterwegs sein, dann merkt man, wer die Reeperbahn regiert. Kein Kiez-König. Es ist die Lust am Schauen, die Neugierde und sinnliche Getriebenheit, die (meistens) gar nichts zu tun hat mit manifesten sexuellen Gelüsten.

Es gibt immer etwas zu sehen, und wenn man wie Bodendieck mit Fahrrad und Bollerwagen über den Kiez rollt, wird man auch gesehen. Bodendieck ist mobil, Staffelei und Pinsel sind schnell zur Hand. Er hat das Dachgeschoss im Haus einer Freundin in der Clemens-Schulz-Straße für die Dauer des Projekts bezogen. Nach den Streifzügen schläft er oft hier, "die Arbeit ist zurzeit nicht gerade familienfreundlich", das St.-Pauli-Projekt eine Parallelwelt.

Wie kam er überhaupt zu seinem Vorhaben, das er auf seiner Homepage in einer Art Tagebuch begleitet? Ganz einfach: Der Titel des "Rubens von der Reeperbahn" war nach dem Tod von Erwin Ross vakant. Halb ernst- und halb scherzhaft will sich Bodendieck nun daran machen, das Erbe Ross' anzutreten. Ross hat sich nachhaltig auf der Reeperbahn verewigt, sein Schaffen bezog sich freilich in der Hauptsache auf Brüste, Beine und wohlgeformte Hinterteile.

Der Genre-Begründer Gil Elvgren malte ab den 40er-Jahren des vorigen Jahrhunderts die Pin-up-Bilder, damals für US-Soldaten an der Front. Auf dem Kiez sind die knallbunten Verewigungen der leicht bekleideten Damen in sündigen Posen an jeder Ecke zu finden. "Ich würde so eigentlich nie malen, aber für die St.-Pauli-Reihe ist es genau richtig", sagt Bodendieck. Genau richtig, weil es die dokumentarische Arbeit ergänzt. Bodendieck hat sich mit den Frauen, den Dienstleisterinnen der Liebe, unterhalten, in der Herbertstraße und am Hans-Albers-Platz. "Es sind spannende Lebensgeschichten, die man da hört", sagt Bodendieck. Er darf übrigens auf einen allzu menschlichen Charakterzug setzen, wenn er auf der Suche nach Modellen ist: deren Eitelkeit. Und wenn die zu klein ist, helfen manchmal auch ein paar Geldscheine.

Wenn die Ausstellungseröffnung vorbei ist, will er erst mal Urlaub machen, sagt Bodendieck. Ein halbes Jahr Kiez, das schafft einen.

Sankt Pauli Ausstellung Hinnerk Bodendieck, Galerie Elbchaussee, Klopstockstraße 29, bis 16. Juli, geöffnet Mittwoch bis Freitag 16-20 Uhr