Ein “fairer Prozess“ gegen den Ex-SPD-Sprecher sei nicht möglich. Schwere Vorwürfe gegen den Staatsanwalt

Nun ist die Zeit gekommen. Der Moment, Dampf abzulassen und dem unbequemen Staatsanwalt die Leviten zu lesen. Es ist eine wahre Philippika und Bülent Ciftlik richtig in Fahrt. Gerade hat die Verteidigerin des Mitangeklagten Kenan T. beantragt, Oberstaatsanwalt Michael Elsner wegen Befangenheit abzulösen. "Ihr Ziel war keine Aufklärung", sagt Ciftlik mit bebender Stimme, Elsner grimmig im Visier, "sondern mich öffentlich zu demontieren. Sie sollten sich schämen."

Wittert der SPD-Politiker, der sich vor dem Amtsgericht St. Georg wegen der Anstiftung einer Scheinehe verantworten muss, Morgenluft? Seine Verteidigung hat sich gestern dem Antrag von Johanna Dreger-Jensen angeschlossen. Die Anwältin fordert die Einstellung des Verfahrens gegen ihren Mandanten, ersatzweise die Ablösung des Staatsanwalts, außerdem die Abtrennung des Verfahrens gegen Nicole D., Ciftliks Ex-Freundin. Sie hatte ausgesagt, der Politiker habe sie zur Ehe mit Kenan T. überredet und für die Vermittlung 3000 Euro erhalten.

Nicht weniger als "Parteilichkeit" wirft Dreger-Jensen Staatsanwalt Elsner vor. Er habe "Beweismittel gezielt unterdrückt" und ein Ermittlungsverfahren gegen eine Entlastungszeugin verschwiegen. Indem die Anklage dem Gericht und der Verteidigung Informationen vorenthalten habe, habe sie gegen das Gebot eines fairen Verfahrens verstoßen. "Ein fairer Prozess gegen die Angeklagten ist nicht möglich."

Vorwurf 1 : Zum Prozessauftakt hatte Elsner eine E-Mail, in der Nicole D. ihr Geständnis widerruft, als "plumpe Fälschung" bezeichnet - die Angeklagte selbst hatte bestritten, die Mail verfasst zu haben. Bei der Durchsicht ihres Web.de-Accounts wurde die dubiose E-Mail nicht gefunden. Den Spam-Ordner durchforstete die Staatsanwaltschaft jedoch nicht. Dort entdeckte Nicole D. am 26. April aber per Zufall die Mail. Die Staatsanwaltschaft fertigte darauf Screenshots an, die jedoch nicht in der Haupt-, sondern einer anderen Akte landeten. Dort habe sie die Beweismittel per Zufall entdeckt, sagt Dreger-Jensen. Obgleich bekannt, hätten weder Anklage noch Nicole D. den Fund während der Verhandlung erwähnt.

Aus Sicht des Anklagevertreters ein Versehen. Dreger-Jensen indes glaubt nicht an einen Zufall. Auch sei die Mail nicht elektronisch gesichert worden. Weil Nachrichten im Spam-Ordner nach 14 Tagen automatisch gelöscht würden, sei es nun unmöglich, den Urheber der Mail zu ermitteln. "Die Staatsanwaltschaft hat das Sammeln von Beweisen vereitelt", sagt Ciftliks Verteidiger Cornelius Weimar.

Vorwurf 2 : Am 31. Mai sagte Nuran A. vor Gericht aus und bestätigte im Wesentlichen Ciftliks Angaben. Dass ein Ermittlungsverfahren gegen sie läuft, weil sie eine Freundin zur Heirat mit einem Türken überredet haben soll, habe Elsner verschwiegen. Sie sei nicht auf das ihr zustehende Zeugnisverweigerungsrecht hingewiesen worden. Der Staatsanwalt habe sie vielmehr ins offene Messer laufen lassen.

Elsner weist die Vorwürfe als "völlig abwegig" zurück. Die Ermittlungsakte gegen Nuran A. habe erst am 2. Juni vorgelegen - zwei Tage nach ihrer Aussage vor Gericht. "Vor dem Hintergrund des desaströsen Auftretens der Entlastungszeugen ist dies hier wohl ein verzweifelter Versuch, die Verurteilung ihres Mandanten zu verhindern."

Bis Dienstag will das Gericht über die Anträge entscheiden. Vorsorglich haben Ciftliks Verteidiger vier weitere Zeugen benannt, die die Glaubwürdigkeit von Nicole D. erschüttern könnten. Kleines Bonmot: Weil die Verteidiger Johann Schwenn und Cornelius Weimar im üblichen Prozesskleinkrieg ausnahmsweise die Waffen ruhen ließen, scherzte Richter Wegerich: "So viel Harmonie bin ich nicht gewohnt."