Erst spät lernte er Deutsch, kaufte mit 29 eine Firma. Daraus machte er ein Weltunternehmen. Die Geschichte eines Wirtschaftswunders.

Hamburg. "Das Geld liegt auf der Straße", prangt in goldfarbener Schnörkelschrift auf dem Buchtitel. Darunter steht der wegweisende Zusatz: "Man muss sich nur bücken." Einer, der diese Kunstfertigkeit wie kaum ein Zweiter beherrscht und quasi deutscher Meister im Aufheben ist, brachte seine Lebenserfahrungen jetzt zu Papier. Und damit schon auf den ersten Blick keine Missverständnisse aufkommen, ließ Hermann Schnabel ein Eurozeichen auf den Titel seiner Biografie drucken - hübsch gelackt. Schließlich brachte es "Herr Wirtschaftswunder" mit dem in jeder Beziehung einnehmenden Wesen von null auf zwei oder drei Milliarden. Keiner außer ihm selbst weiß es so ganz genau.

Dafür sind die Eckpfeiler eines ganz besonders schillernden Lebens nun publik. Das Ergebnis liest sich wie ein Roman aus Onkel Dagoberts Wunderwelt. Kaum zu glauben das Ganze. Wenn es den Wirtschaftskapitän, dessen 90. Geburtstag im kommenden Jahr ansteht, nicht ganz leibhaftig gäbe. Tatsächlich ist der Werdegang vom Jungen aus einfachen Verhältnissen in Schlesien, der teilweise bei seinen Großeltern aufwuchs und erst mit zwölf Jahren Deutsch lernte, zu einem der erfolgreichsten Kaufleute Europas ein Paradebeispiel des Kapitalismus. Im Gegensatz zu manchem großkopferten Erben hat es Hermann Schnabel im Alleingang geschafft. Und wie.

"Gestorben wird auf der Bühne, nicht im Sessel", sagt der Kulturmäzen und Professor honoris causa beim Lokaltermin in seinem Büro im Gebäude der Helm AG an der Nordkanalstraße. 1950 erwarb der damals 29 Jahre alte Kaufmann die winzige Firma für 3000 Mark und formte sie zu einem der weltweit größten Handelshäuser für Chemikalien und Pharmarohstoffe. Aktuell verfügt das Unternehmen über 84 Niederlassungen und 1300 Mitarbeiter weltweit. Jahresumsatz 2008: mehr als neun Milliarden Euro.

Der Boss nippt an seiner Tasse mit rotem Früchtetee, freut sich des Lebens und klönt mit Ehefrau Else, seiner früheren Sekretärin, über gemeinsame Meilensteine. Der 44. Hochzeitstag wurde am 6. Oktober vergangenen Jahres gefeiert und dort verbracht, wo der Bund geschlossen wurde: im Hotel Vier Jahreszeiten. "Ich hatte Glück", resümiert Schnabel, "aber ich habe auch viel unternommen und eine Menge gewagt." Dem Abendblatt schildert das Ehepaar einige Facetten aus Schnabels Werdegang; andere sind Bestandteil der Biografie. "Ich habe sie selbst verfasst", sagt er, "seit 2007, handschriftlich festgehalten in mehr als 600 Seiten und zwei Aktenordnern." Das Buch kostet 20 Euro und ist über die Telefonnummer 040/441 11 30 zu beziehen.

Der Start

Am 29. März 1921 kam Hermann Schnabel im Riesengebirge zur Welt, dem ärmsten Teil des damaligen Deutschen Reiches. Mit 14 begann der ehrgeizige Hermann in einem Tante-Emma-Laden seine Ausbildung zum Lebensmittelkaufmann.

"Während der Lehrzeit besuchte ich die Handelsschule", erinnert sich Schnabel in seinen Memoiren. "Von meinen Mitschülern wurde ich gemieden. Der Grund war, dass ich weder Kinos noch Restaurants kannte und schon gar keine Mädchen, über die ich hätte sprechen können. Ich kannte nur eines: Lernen! Lernen! Lernen! Daher waren meine besten Freunde die Lehrer, mit denen ich mich in den Pausen unterhalten konnte. Streber sind nie beliebt."

Westwärts

Am 1. Mai 1938 wechselte er als Erster Verkäufer zur Lebensmittelladenkette Schade & Füllgrabe in Leipzig und diente sich zum Filialleiter hoch. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Schnabel in der Schlacht von Halbe an der Oder durch 13 Granatsplitter und eine Revolverkugel schwer verletzt. Als "Invalide" auf zwei Krücken wurde er später von den Sowjets entlassen. In Leipzig vernahm Schnabel erstmals den Lockruf des Geldes: "Ich war bekannt als der beste Schwarzmarkthändler für Zigaretten, aber auch für Speck, Schinken, Butter und andere Produkte vom Land." Doch wie gewonnen, so zerronnen: Nach der Währungsreform im Juni 1948 besaß Schnabel 40 Mark - wie jeder andere auch.

In der Nacht des 13. Februar 1949 schwamm er mit seiner ersten Frau, die später an Krebs verstarb, sowie dem zweijährigen Sohn Dieter (der den Konzern seit 1984 als Vorstandsvorsitzender führt) durch die Ocker. "Es war bitterkalt, und als wir das Wasser verließen, dachte ich, ich wäre tot." Auf einem Verschiebebahnhof auf westlicher Seite hing an einem Personenzug ein Schild: "Goslar-Hamburg."

Traumstadt Hamburg

Am 13. Februar 1949 um 11.30 erreichte die kleine Familie die Endstation der Flucht. "Ich war am Ziel meiner Träume. Hamburg-Hauptbahnhof - meine neue Heimat." Diese lag in Schutt und Asche. "Mein Gefühl und meine Nase witterten aber nicht den Geruch von Tod und Niederlage, nein, ich spürte, wie das Leben zurückkehrte, und ich ahnte: "Diese Stadt konnte nicht untergehen! Diese Stadt würde leben, wenn man ihr nur etwas Zeit gab." Schnabel besuchte rund hundert Firmen, um sich als Teilhaber anzubieten. Am 1. September 1950 erwarb er die Exportfirma Karl O. Helm. Das Büro war ausgebombt. Eine Sekretärin, ein Assistent sowie ein Bote wurden angeheuert. Und dann ging's los.

Das Wirtschaftswunder

Die Geschäfte mit Chemieprodukten, aber auch mit der Schokolade "Blockina" liefen immer besser. In Mexiko standen große Abschlüsse auf Messers Schneide, in geheimer Mission ging es nach Indien, in Paris wurde das Hotel Bristol in einem Rolls-Royce der Mafia angesteuert. Und in São Paulo wurde der Kaufmann von Schergen umzingelt. "Ich sah dem Tod in die Augen", erinnert er sich.

"Kein Erfolg ohne Organisation und Apparat", bilanziert Schnabel. Voraussetzung für den Erfolg seien Zuverlässigkeit, Selbstdisziplin und Pünktlichkeit. Und eine Menge Mumm - dann liegt der Zaster auch auf der Straße.