Nelson Mandelas Urenkelin starb am Vorabend der WM. Der Tod von Angehörigen und Freunden erschütterte das Leben des Friedenskämpfers immer wieder.

Der große alte Mann hatte sich fest vorgenommen, seine Freude vor aller Welt zu zeigen, auch wenn ihm, dem einstigen Boxer und Kraftprotz, inzwischen jeder Schritt schwerfällt. Denn schließlich ist es sein Turnier - es war nicht zuletzt die alles überstrahlende charismatische Persönlichkeit eines Nelson Mandela, die das weltgrößte Medienereignis, die Fußballweltmeisterschaft, nach Südafrika geholt hatte. Und nun wollte Mandela unbedingt dabei sein, wenn Millionen Menschen in aller Welt auf jenes Land blicken, das er so tief greifend verändert hat. Doch über das südafrikanische "Wintermärchen" hat sich ein Schatten gelegt, noch bevor es richtig beginnen konnte.

Der Tod seiner Urenkelin Zenani bei einem Verkehrsunfall hat den fast 92-jährigen Mandela zutiefst erschüttert; in seinem Namen sagte seine Stiftung die Teilnahme an den Eröffnungsfeierlichkeiten ab. Das wäre "unangemessen", hieß es. "Die Nation teilt Ihren Verlust und trauert mit Ihnen", kondolierte Staatspräsident Jacob Zuma und fügte hinzu: "Vor allem an dem Tag, an dem unsere Träume und Hoffnungen mit der Eröffnung der ersten Fifa-WM auf afrikanischem Boden wahr werden."

Die 13-jährige Zenani, die ein sehr herzliches Verhältnis zu ihrem berühmten Urgroßvater hatte, war am Vorabend der WM-Eröffnung begeisterte Besucherin des Pop-Konzerts im einstigen Schwarzen-Elendsgetto Soweto gewesen, einer mitreißenden Ouvertüre für die sportlichen Wettkämpfe. Stars wie Shakira, Alicia Keys oder die Black Eyed Peas hatten das Konzert im Orlando-Stadion vor 30 000 Zuhörern in ein ausgelassenes Fest verwandelt.

Auf dem Rückweg verlor der Fahrer des Wagens, in dem Zenani saß, auf der Bundesstraße M1 bei Johannesburg die Kontrolle, das Fahrzeug überschlug sich. Während der offenbar betrunkene Fahrer, ebenfalls ein Familienmitglied, unversehrt blieb, erlag Mandelas Urenkelin ihren Verletzungen. Der Todesfahrer kam wegen Verdachts auf Totschlag in Haft. Erst zwei Tage zuvor hatte das fröhliche Mädchen seinen 13. Geburtstag gefeiert. Im vergangenen Jahr hatte die kleine Zenani, eines von neun Urenkelkindern des früheren Präsidenten, vor dem Finale des Fußball-Confederations-Cups den begehrten Pokal auf das Podium des Ellis-Park-Stadions in Johannesburg getragen.

Zenanis Mutter Soleka Seakamela brach zusammen, Solekas Großmutter Winnie Mandela, die geschiedene Frau des Friedensnobelpreisträgers, wurde mit einem Schock ins Krankenhaus eingeliefert. Beide Frauen hatten sich nicht im Unglückswagen befunden. Zenani war die Enkelin von Zindzi Mandela, der Tochter von Nelson und Winnie Mandela, seiner zweiten Ex-Frau.

Auf den Straßen von Südafrikas Städten herrschte am Morgen nach dem Unfall noch Karnevalsstimmung mit Fahnenschwenken und Vuvuzela-Getröte, bizarren Kostümen und fantasievoll geschmückten "Makarapa"-Helmen; erst im Laufe des Tages verbreitete sich die Nachricht von der Tragödie.

Mandelas Platz im Soccer-City-Stadion blieb gestern also leer. Jener Mann "dem wir das alles zu verdanken haben", wie Südafrikas anderer schwarzer Friedensnobelpreisträger, Bischof Desmond Tutu, am Vorabend noch im Orlando-Stadion der frenetisch jubelnden Menge zugerufen hatte, trägt Trauer. "Welch ein bitterer Moment für Nelson Mandela und seine Familie: Dieser 11. Juni sollte Südafrikas größter Moment werden", klagte Tutu dann gestern. In der Tat - diese erste Fußball-Weltmeisterschaft auf dem Schwarzen Kontinent sollte ausdrücklich doch jener Tristesse entgegenwirken, die allenthalben wie Mehltau über Afrika liegt.

Und gerade der unerschütterlich erscheinende Nelson Mandela ragt wie ein Leuchtturm der Hoffnung aus der Problematik des Schwarzen Kontinents mit seiner weitverbreiteten Armut, der Kriminalität, Tyrannei und Korruption heraus. Er ist mit seiner ergreifenden Biografie eine lebende Legende; die ganze Welt weiß um das Schicksal des einst berühmtesten Gefangenen der Erde, um seine Zeit als einsamer Häftling in Zelle 46664 auf der berüchtigten Gefängnisinsel Robben Island, einer ehemaligen Lepra-Kolonie. Man weiß um seinen verzweifelten und letztlich erfolgreichen Kampf gegen die menschenverachtende Apartheid. Und um seinen märchenhaften Aufstieg vom Hirtenjungen über den Staatsfeind Nummer eins ins Präsidentenamt.

Doch viele Menschen ahnen angesichts der stets heiteren Gelassenheit dieses großen Mannes nicht, wie eng das ganz persönliche Leid mit seinem Leben verflochten ist, dass der Tod ein ständiger Begleiter ist.

Mandela war nie wie der König von Samos in Schillers Gedicht "Der Ring des Polykrates". Ihm wurde nie "des Lebens ungemischte Freude" zuteil, gar in solchem außerordentlichen Maße, dass er den Neid der Götter zu fürchten hatte. Ihm haben sie schon immer "zum Glück den Schmerz" verliehen. Der Schweizer Dichter und Politiker Gottfried Keller schrieb im 19. Jahrhundert, wo dem Schicksal sonst "kein Angriffspunkt verstattet bleibt, da quartiert es einfach den plumpen, groben Tod als Besatzung ein".

Und mit dessen furchtbarem Besatzungsregime ist Nelson Mandela wohl vertraut. Als er gerade neun Jahre alt war, starb sein Vater Gadla Henry Mpakanyiswa elendig an Tuberkulose, und der königliche Regent des Thembu-Volkes, Jongintaba Dalindyebo, nahm ihn an Sohnes statt an.

Der Tod war dann auch Auslöser seiner vorübergehenden Wandlung vom friedlichen Apartheid-Gegner zum Guerillero und Gründer-Kommandeur des "Speers der Nation", des berüchtigten bewaffneten Flügels des ANC. Die südafrikanische Polizei hatte 1960 beim "Massaker von Sharpeville" 69 schwarze Demonstranten zumeist von hinten erschossen und 180 verwundet. Erschüttert vom Schicksal dieser Menschen griff Mandela zur Gewalt. Später, als er längst inhaftiert war, sollte der "Speer der Nation" selber den Tod in den Reihen seiner Gegner säen.

"Dies ist die Insel. Hier werdet ihr sterben", lautete die Begrüßungsformel, als Nelson Mandela 1964 mit anderen Häftlingen auf Robben Island eintraf. 18 seiner insgesamt 27 Jahre Haft sollte er hier verbringen. Und es wurde alles getan, um diese Voraussage zu erfüllen: In dünner Kleidung mussten die Gefangenen auf blanker Erde schlafen, Betten gab es nicht. Im Winter waren die Zellen, in denen zum Teil bis zu 18 Häftlinge vegetierten, nass. Das Essen war entsetzlich, jeden Dienstag kam ein Arzt - wer am Mittwoch erkrankte, hatte eben Pech und starb unter Umständen. Mandela sah im Laufe der Jahre viele Mithäftlinge und Freunde zugrunde gehen, aber sein stählerner Wille zum Überleben blieb ungebrochen.

Im Jahre 1969 kam sein Sohn Thembi bei einem Autounfall ums Leben, er wurde nur 25 Jahre alt. Die weißen Wärter auf Robben Island gestatteten Mandela nicht, an der Beerdigung teilzunehmen. Thembi stammte aus Mandelas erster Ehe mit Evelyn Ntoko Mase, die 2004 starb. Eine der beiden Töchter des Paares erlebte den ersten Geburtstag nicht. Mandela und Evelyn gaben der danach geborenen Tochter zu Ehren der Verstorbenen denselben Namen: Makaziwe.

Nelson Mandelas zweiter Sohn aus dieser Ehe, Makgatho, starb 2005 - und sein Tod ist Teil einer besonderen Tragödie der Familie Mandela: Makgatho starb an den Folgen seiner Aids-Erkrankung.

Mindestens drei weitere Angehörige von Nelson Mandela erlagen dem HI-Virus: seine erst 22-jährige Nichte sowie zwei Söhne eines Neffen. Südafrika ist eine Hochburg der Seuche, und Mandela hatte es zur Chefsache erklärt, dagegen vorzugehen. Im Gefängnis sei er an Tuberkulose erkrankt und später, in Freiheit, an Prostatakrebs, berichtete Mandela offen. Niemand habe ihn deswegen gemieden, und man sollte auch Aids-Kranke nicht meiden, sondern "umarmen und lieben".

Nach dem Tod seiner Nichte, die er noch wenige Tage zuvor im Krankenhaus besucht hatte, sagte Mandela, leider werde sich der Mensch des Ausmaßes einer solchen Seuche erst bewusst, wenn ein naher Verwandter sterbe.

Nelson Mandela, der nächsten Monat 92 Jahre alt wird, hatte 1998 an seinem 80. Geburtstag zum dritten Mal geheiratet. Und der Tod hatte auch dabei seine Hand im Spiel: Mandelas Frau Graca Machel ist die Witwe des früheren Staatspräsidenten von Mosambik, Samora Machel. Der alte ANC-Gefährte von Nelson Mandela war zwölf Jahre zuvor bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.

Auch Mandela hatte es angeblich schon selbst getroffen. Im Jahre 2003 meldete der US-Sender CNN, er sei den Folgen seines Prostata-Krebses erlegen, und veröffentlichte auf der CNN-Website einen langen, bewegenden Nachruf. Und 2007 verbreitete eine rechtsextreme Gruppe ein weiteres Mal die Nachricht vom Tod Mandelas. Dieser befand sich zu dem Zeitpunkt auf einem unbeschwerten Urlaub in Mosambik.

Ein Zitat Nelson Mandelas mag Aufschluss darüber geben, warum der Mann, der zeitlebens im Schatten des Todes wandelte, eine derartig vitalisierende Wirkung auf Menschen hat: "Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind, befreit unsere Gegenwart automatisch andere."