Familientherapeutin Paula Honkanen-Schoberth, 58, ist Bundesgeschäftsführerin des Kinderschutzbundes.

Hamburger Abendblatt:

1. Wie kann ein Fall wie der Hungertod der kleinen Lara künftig verhindert werden?

Paula Honkanen-Schoberth:

Wichtig wäre eine flächendeckende und früh ansetzende Elternhilfe. Davon ist man in Deutschland weit entfernt, auch wenn viele Projekte angeschoben wurden. Solche Angebote sollten für alle Eltern offen sein, ob sie bedürftig sind oder nicht. Ein gutes Beispiel sind die skandinavischen Länder, etwa Finnland. Dort nutzen fast 98 Prozent aller Eltern die freiwillige und kostenlose Elternhilfe. Sie werden psychologisch und medizinisch unterstützt, können die Hilfe von Logopäden in Anspruch nehmen, bekommen Erziehungsratschläge. Diese frühe Hilfe muss Standard, eine Selbstverständlichkeit werden.

2. Lara wurde im Auftrag des Jugendamtes vom Rauhen Haus, einer Einrichtung der Diakonie, betreut. Geben die Kommunen zu viel Verantwortung ab?

Man kann nicht sagen, dass sie Verantwortung abgeben, wenn die Betreuung einer guten Einrichtung übertragen wird. Wichtig ist, dass ausreichend Plätze angeboten werden und dass die Betreuung qualitativ gut ist.

3. Was sind Auslöser dafür, dass Eltern ihre Kinder vernachlässigen?

Dafür gibt es viele Gründe. Etwa, dass die eigenen Eltern keine Vorbilder waren. Viele betroffene Eltern haben psychische Probleme, etwa Depressionen, auch ausgelöst durch Alkohol und andere Drogen. Soziale Isolation oder finanzielle Probleme können Auslöser sein. Oft stellen wir Überforderung, gepaart mit Depressionen, fest. Solchen Eltern fehlt der Blick für ihr Kind.

4. Sind die Eltern in solchen Fällen nur Täter oder manchmal auch Opfer?

Sehr häufig waren oder sind sie selbst Opfer, weil sie Gewalt und Vernachlässigung erlebt haben.

5. Kommen junge Eltern heute besser oder schlechter mit ihrer Rolle klar?

Viele junge Eltern sind ohne Geschwister aufgewachsen. Sie haben, bevor sie selbst Eltern werden, wenig Bezug zu Kleinkindern. Es gibt nur wenige vorgelebte Modelle, wie man mit kleinen Kindern umgehen muss. Viele junge Eltern fühlen sich deshalb oft allein und isoliert, ohne Hilfe von Freunden und Bekannten. Wichtig wäre, bereits in der Schule in einer Art Erziehungsunterricht Kinderrechte zu vermitteln.