Michael Th. Greven, 63, ist Professor für Politische Wissenschaften der Uni Hamburg.

Hamburger Abendblatt:

1. Wie kommt es, dass selbst Medien und Stimmen aus dem eher konservativen Lager den Präsidentschaftskandidaten von SPD und Grünen unterstützen, Joachim Gauck, den ehemaligen Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes?

Professor Michael Greven:

Die Art der Rekrutierung, aber auch die blasse Persönlichkeit von Herrn Wulff, mit dem man öffentlich kaum eine klare Position verbindet und von ihm kein klares Wort erwartet, erklären die Unzufriedenheit in den Koalitionsparteien. Die zumindest verbal geäußerte Unterstützung für Herrn Gauck liegt einerseits in dessen Persönlichkeit jenseits von rechts und links, andererseits in der Unzufriedenheit mit Merkels Führung innerhalb der Union, besonders aber der FDP begründet.

2. Womit punktet der Kandidat Joachim Gauck in seinen öffentlichen Auftritten, etwa im Fernsehen, bei den Zuschauern? Kommt ihm sein Lebensalter von 70 Jahren zugute?

Nein. Gauck hat ein großes biografisches Glaubwürdigkeitspotenzial; ihm kommt in den Medien als Außenseiter aber auch das weit verbreitete Anti-Parteien- und Anti-Politiker-Ressentiment zugute, das umgekehrt gegen Wulff als reinen Parteipolitiker spricht. Ob sich das auch in der Bundesversammlung so auswirkt, ist zweifelhaft.

3. Sehen Sie Unterschiede bei den beiden Kandidaten, was die Glaubwürdigkeit ihrer politischen Aussagen angeht?

Joachim Gauck spricht nicht in den Routinen der Alltagspolitik. Aber hier geht es nur um die öffentliche Wahrnehmung. Herr Gauck musste sich bisher natürlich, anders als Herr Wulff, ja nicht in den "Niederungen" des Parteienwettbewerbs bewegen.

4. Glauben Sie, dass die Linke, die sich grundsätzlich gegen Gauck ausgesprochen hat, im Laufe der Wahlgänge in der Bundesversammlung aus taktischen Gründen noch umschwenken könnte?

Nein. Joachim Gauck ist als langjähriger Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde für Teile der Partei "Die Linke" nicht akzeptabel.

5. Was würde ein Sieg Joachim Gaucks bei der Wahl zum Bundespräsidenten am 30. Juni für die politische Zukunft der schwarz-gelben Koalition bedeuten?

Die Wahl von Herrn Gauck würde die bereits erkennbare Erosion der Autorität von Frau Merkel in der Union und auch in der Koalition beschleunigen, aber keine unmittelbaren Folgen zeitigen.