Ein Kommentar von Rainer Grünberg

Es sind diese tief ins Selbstbewusstsein gebrannten Bilder vom Rathausbalkon, von 20 000 jubelnden Kielern davor, von der feucht-fröhlichen Feier danach, mit denen die Spieler des THW in jede Saison neu motiviert starten - und am Ende mit ebendiesen Erlebnissen aus ihr herausgehen. In der Handball-Bundesliga bleibt deshalb alles beim Alten, zum sechsten Mal in Folge heißt es: Deutscher Meister wird nur der THW. Immerhin bescheinigte Trainer Alfred Gislason dem Rivalen HSV gönnerhaft, ebenfalls eine hervorragende Saison gespielt zu haben. Mit vollen Hosen ist bekanntlich gut stinken.

Meisterschaft und Champions League hatten auch die Hamburger gewinnen wollen, die Kieler schafften es, weil für sie Erfolg längst eine Selbstverständlichkeit und keine Herausforderung ist. Dieses Stück breite Brust mehr zeigte der THW nicht nur vor zwei Wochen im direkten Titelduell, sondern in fast jedem Bundesligaspiel zuvor. Eine um 56 Treffer bessere Tordifferenz gegenüber dem HSV lässt vermuten, dass es zwischen den Mannschaften auf Platz eins und zwei größere Unterschiede zu geben scheint als den einen Pluspunkt. Wenn der Hamburger Weltauswahl noch etwas fehlt, ist es jene positive Arroganz, die die Kieler selbst bei größeren Rückständen nicht an ihren überragenden Fähigkeiten zweifeln lässt.

Es ist daher im Innenverhältnis zu den Spielern psychologisch wenig hilfreich, wenn HSV-Trainer Martin Schwalb im verständlichen Bemühen, das überwiegend Positive dieser Saison zu konservieren, davon spricht, der Klub habe 2010 mit dem deutschen Pokalsieg einen der vier wichtigsten Titel in Europa geholt. Das mag stimmen, aber es ist der viertwichtigste Titel. Von solchen Pokalen träumt in Kiel niemand mehr. "Think big!" möchte man deshalb dem HSV für die nächste Saison zurufen. Aus Zufriedenheit wächst keine neue Kraft.