Dirk Reimers, 67, Vorsitzender des Polizeivereins Hamburg und Ex-Polizeipräsident.

Hamburger Abendblatt:

1. Muss man einen Preis ausloben, um Zivilcourage zu fördern?

Dirk Reimers:

Manchmal muss man auch Selbstverständlichkeiten ansprechen, damit sie ins öffentliche Bewusstsein kommen. Viele Menschen kümmern sich um die Gesellschaft, ohne dass ihr Tun gewürdigt wird. Die Anerkennung von Zivilcourage soll auch andere Menschen ermutigen, sich in ähnlichen Situationen mit Augenmaß zu engagieren. In einer Demokratie geht Sicherheit nicht nur den Staat etwas an, sondern uns alle. Für Zuschauer gilt der Satz: Wer nichts tut, macht mit.

2. In letzter Zeit häufen sich Übergriffe auf Bahnhöfen und in öffentlichen Verkehrsmitteln. Braucht man dort mehr Sicherheitspersonal?

Mehr Personal stärkt natürlich die Prävention. Aber die Mittel des Staates und der Unternehmen sind begrenzt und wir wollen ja auch keinen Überwachungsstaat. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat, aber die innere Sicherheit muss von allen mitgetragen werden. Das haben die beiden Preisträger als Fahrgäste in Steilshoop gezeigt.

3. Wie beurteilen Sie das Sicherheitssystem beim HVV, gibt es Nachholbedarf?

Der öffentliche Personennahverkehr hat immer darunter gelitten, dass die objektive Lage besser war als das subjektive Gefühl in der Bevölkerung. Hochbahn und S-Bahn haben bereits viel für die Sicherheit getan. Sie haben Sicherheitswachen eingerichtet, arbeiten eng mit der Polizei zusammen, es gibt Notrufknöpfe und Videoüberwachung.

4. Aber Videoüberwachung verhindert keine Straftaten. Das hat doch zuletzt die tödliche Messerattacke am Jungfernstieg wieder einmal gezeigt.

Es stimmt, dass sie die Taten nicht verhindert. Aber Videoüberwachung hilft bei der Verfolgung und der Aufklärung von Straftaten. Und damit wird dem Gerechtigkeitsgefühl der Bevölkerung Rechnung getragen. Der Glaube an das Recht lässt sich nur erhalten, wenn dem Unrecht der Tat unverzüglich Strafen oder Maßregeln folgen. Alles andere führt zu einer Erosion unseres Gemeinwesens. Straftaten sind schlimm, aber unaufgeklärte Straftaten sind noch schlimmer.

5. Ist es sinnvoll, Reizgas oder einen Elektroschocker bei sich zu haben, um sich oder andere besser zu schützen?

Aufrüstung der Gesellschaft schafft keinen Frieden. Ich rate dringend davon ab, sich zu bewaffnen und am Ende Verhältnisse zu schaffen wie in den USA. Sicherheit beginnt im Kopf und braucht die Bereitschaft, Regeln zu akzeptieren. Diese Bereitschaft hängt auch von den sozialen Strukturen ab, in denen man lebt. Wenn das Wir-Gefühl verloren geht, leidet auch die Sicherheit.