Viele Familien in Allermöhe haben einen Migrationshintergrund. Das Problem aber sei die wirtschaftliche Situation, sagt ein Erzieher

Allermöhe hat viele Gesichter. Da ist das idyllische Dorf Allermöhe, das sich seit dem 12. Jahrhundert an den Deich der Dove Elbe schmiegt. Und da ist Neuallermöhe. Besser: Allermöhe Ost und West. Zwei Neubaugebiete, hochgezogen links und rechts des Allermöher Sees, verbunden nur durch eine kleine Straße entlang des S-Bahn-Damms.

Reihenhäuser schlängeln sich entlang der langen Kurven, kaum ein Wohnblock ist höher als vier Stockwerke. Kleine Wasserarme und Fleete, auf denen Enten schwimmen, durchziehen die durchgeplante Neubauwelt. Naturverbundene Beschaulichkeit.

Hunderte Familien aus den ehemaligen Sowjetrepubliken sollten hier seit 1992 eine neue Heimat finden. Später auch Familien aus Polen und Afghanistan. Allermöhe ist dadurch der jüngste Hamburger Stadtteil. 23,1 Prozent der Einwohner sind unter 15 Jahre alt. Doch am Nachwuchs zeigt sich auch, wie gut die Familien hierzulande angekommen sind.

Junge männliche Einwanderer seien in Allermöhe überproportional an Straftaten, insbesondere Gewalttaten beteiligt, schrieb der umstrittene Bergedorfer Jugendrichter Olof Masch gestern im Hamburger Abendblatt. Ein auf ganz Hamburg übertragbarer Fakt.

Eine Aussage, die in Allermöhe nicht für hochgezogene Augenbrauen sorgt. "Die meisten haben einen Migrationshintergrund, ja", sagt Peter Ast im Juzena, dem Jugendzentrum Neuallermöhe, abgeklärt. Gleichzeitig relativiert er: "Sie sind jedoch nicht auffälliger, es gibt einfach mehr."

Der 60-Jährige hat das Juzena vor mehr als einem Jahrzehnt mit aufgebaut, betreut seitdem Jugendliche aus sozial schwachen Familien. "Viele kommen, weil sie zu Hause keine Flatrate haben oder zu viele Geschwister, die sich vor dem Computer drängen."

Für den Erzieher ist nicht der Migrationshintergrund das Problem - 70 Prozent der Familien in Allermöhe haben einen. Das Problem sei deren wirtschaftliche Situation. Und eine Perspektivlosigkeit, die sich von einer auf die nächste Generation überträgt.

Kinder aus "Unterschichtfamilien", sagt er, "aus schwierigen Verhältnissen, sehen keine Chancen." Das mache sie anfälliger, kriminell zu werden. Aus Frust und ohne darüber nachzudenken, auch weil sie die kriminelle Laufbahn längst im Kopf hätten. Aber: Bei gleicher sozialer Situation unterscheide sich die Bereitschaft kriminell zu werden zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund nicht, ist sich Ast sicher. Diese Meinung vertritt auch Marion Ellenberger vom Internationalen Bund (IB).

Am Rande des Parkplatzes vor dem Allermöher Bahnhof hat der IB einen Wohncontainer aufgestellt. Vier Männer sitzen phlegmatisch vor dem Fernseher. Ein russischer Spielfilm läuft dröhnend. Der Container ist einer der Anlaufpunkte, den die IB-Streetworker in Neuallermöhe-West unterhalten. "Perspektivlosigkeit ist oft der Grund dafür, dass junge Männer gewalttätig werden", sagt Ellenberger. Verstärkt durch Alkoholkonsum oder "andersartige Wertvorstellungen". "Wenn es uns gelingt, sie in einen Ausbildungsplatz zu bringen oder ihnen anderweitig Chancen aufzuzeigen, ist schon viel gewonnen", sagt Ellenberger.

Eine mühsame Arbeit, die bereits in einer der sieben Allermöher Schulen beginnt. "Vor dem eigentlichen Lehren müssen wir oft erst mit dem Erziehen beginnen", sagt der Lehrer einer nahen weiterführenden Schule. Viele Eltern leisteten keine Grundwerteerziehung mehr, die Kinder müssten dann in der Schule erst durch pädagogische Arbeit "sozialisiert" werden.

Doch die Arbeit der Pädagogen fruchtet: An der Allermöher Gesamtschule etwa gab es die letzten schweren Zwischenfälle vor zwei, drei Jahren. Etwa, als bei einer Schuldisco ein afghanischer und ein russischer Jugendlicher aneinandergerieten. Beide telefonierten ihre Clans herbei. Ein Großaufgebot der Polizei löste den Streit auf.

Die enge Vernetzung der Schulen mit der Polizei - durch den Cop4You und gewaltpräventive Besuche in den fünften und sechsten Klassen -, vor allem aber die intensive sozialpädagogische Arbeit zeigen Erfolg. Es werde seltener Gewalt ausgeübt, sagt der Lehrer, auch wenn immer noch eine gewisse Grundaggression über allem liege.

In Allermöhe gibt es nicht mehr Gewalt als in anderen Stadtteilen mit ähnlicher Sozialstruktur, sagt Ellenberger vom IB. Und die Zahl der Gewalttaten sei spürbar zurückgegangen, da gibt sie Jugendrichter Masch recht, der für 2009 einen Rückgang an Gewalttaten in Bergedorf um 20 Prozent vermeldet.

Und in noch einem Punkt stimmt sie ihm zu: "Die Strafe für gewalttätige oder anders kriminelle Jugendliche muss auf dem Fuß folgen", sagt Ellenberger. "Es muss schneller ein Signal, ein Stoppzeichen gesetzt werden."

Viele der auffälligen Jugendlichen lebten nur für den Moment, die nächsten drei, vier Tage, erklärt Erzieher Ast aus dem Jugendzentrum Juzena. Was in ein oder zwei Monaten ist, interessiere sie schon nicht mehr. "Die lachen sich schlapp, wenn sie erst Monate nach der Tat eine kaum spürbare Strafe erhalten und in der Zwischenzeit schon wieder ganz andere Sachen gedreht haben."