Der Chefökonom der Uno-Organisation für Welthandel und Entwicklung in Genf hält die Diskussion über die Griechen-Krise für gespenstisch

Die deutsche Diskussion um Griechenland ist gespenstisch. Noch immer wird so getan, als ob, erstens, das Land das einzige in Europa mit Schwierigkeiten sei und es, zweitens, allein durch eigene Schludrigkeit in diese Schwierigkeiten geraten sei und, drittens, Griechenland nur ein Problem mit seinen öffentlichen Haushalten habe. Alle drei Vermutungen sind grundfalsch.

Ganz Südeuropa einschließlich Frankreichs hat ein ähnliches Problem. Griechenland war vor der Krise äußerst erfolgreich mit seiner Wirtschaft insgesamt; es hat zum Beispiel in den vergangenen zehn Jahren wesentlich mehr in Maschinen und Ausrüstungen investiert als irgendein anderes Land der Eurozone.

Schließlich geht es nicht nur und nicht einmal hauptsächlich um Staatsfinanzen, sondern ganz zentral um ein außenwirtschaftliches Ungleichgewicht, nämlich hohe Überschüsse des Exports über den Import in Deutschland und umgekehrt in Südeuropa. Das ist das in einer Währungsunion so schwer zu beseitigende Ungleichgewicht, weil es ohne eigene Währung die Möglichkeit einer Abwertung nicht mehr gibt.

In einer Währungsunion gibt es eine Anpassung nur über die Löhne: Im Überschussland müssen sie stärker steigen, im Defizitland weniger als zuvor.

Während aber in Berlin das außenwirtschaftliche Problem hartnäckig geleugnet wird, hat in Brüssel ein deutscher Minister der Erklärung der Eurogruppe vom 15. März zugestimmt, wonach "die Minister sich verpflichten, den Tatbestand der Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit und der makroökonomischen Ungleichgewichte anzugehen und eine ambitiöse und umfassende Antwort zu finden, die auch die Bereiche der Lohnpolitik und des Arbeitsmarktes mit einschließt".

Deswegen ist auch die rein fiskalische Antwort auf die Krise, die in Berlin als allein tragfähig angesehen wird, gefährlich und unsinnig. Kein Land kann durch Sparen seinen Staatshaushalt sanieren, weil das Sparen ohne einen positiven Impuls aus anderer Richtung die Wirtschaft immer tiefer in die Rezession treibt und die Lage des Staatshaushaltes weiter verschlechtert. Weil zudem auf breiter Front die Löhne gekürzt werden, sinkt die heimische Nachfrage und Investitionen der Unternehmen werden trotz sinkender Kosten nicht angeregt.

Ein positiver Impuls kann nur von außen kommen. Weil die Lohnkürzung die Wettbewerbsfähigkeit verbessert, könnte es eine allmähliche Zunahme des Exports und sinkende Importe geben, wenn die anderen Länder nicht das Gleiche tun und man Griechenland hilft, die Schwächephase zu überbrücken.

Da aber alle Südeuropäer fürchten, in die gleiche Lage wie Griechenland zu geraten, und die Nordeuropäer, vorneweg mit Deutschland, ohnehin weiter auf Lohnzurückhaltung setzen, ist nicht damit zu rechnen, dass das ein leichter Weg wird. Auch deswegen ist eine Überbrückung durch einen von allen anderen Euroländern zu finanzierenden Kredit unverzichtbar, wenn man den Spekulanten den Wind aus den Segeln nehmen will.

Aber machen wir uns nichts vor: Wenn Griechenland diesen Weg des Gürtel-enger-Schnallens geht, die übrigen Südeuropäer folgen und Nordeuropa nicht von seiner bisherigen Politik abweicht, ist der Weg Europas in eine Deflation vorgezeichnet.

Diese Art von Lohnsenkungswettbewerb ist das wahre Gespenst von Berlin und hat in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts die große Krise ausgelöst.

Ein Land kann durch Lohnsenkung seine Position verbessern, alle können das jedoch nicht. Wer in Deutschland jetzt schon wieder mit einem vom Exportüberschuss getragenen Aufschwung rechnet - die Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten in ihrer jüngsten Prognose, dass 0,9 Punkte von 1,5 Prozent deutschem Wachstum aus dem Überschuss der Exporte über die Importe bestritten wird - hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Hilfe für Griechenland und andere Staaten ist sinnlos, wenn sie nicht in ein europäisches Konzept zum Ausgleich der Wettbewerbsfähigkeit und zur Verhinderung einer europäischen Deflation eingebunden ist. Das auszuarbeiten und politisch umzusetzen ist die Staatskunst, die Europa jetzt unbedingt braucht.

Doch wer erkennt die Zeichen an der Wand? Mit "weiter so" ist Europa nicht zu retten.