Angeklagte wird lediglich wegen zweier Taten zu einer Geldstrafe verurteilt

Thorsten S. hat alles genau beobachtet, da ist er sich sicher. Zunächst hörte er schabende Geräusche, und er sah eine junge Frau vor einem Opel Corsa stehen. Dann beobachtete er, wie sie mit einem Schlüsselbund den Lack eines Chrysler-Cabrios zerkratzte.

Das war es auch schon - zu wenig, um Corinna F. die ihr zur Last gelegten Taten nachweisen zu können. Denn auch 25 weitere Fahrzeuge wiesen Schrammen auf. Sind diese Schäden allesamt Corinna F. anzulasten, wo sich doch nur ein Zeuge an zwei Fälle zu erinnern vermag? Das Amtsgericht Hamburg entscheidet: nein.

Die Angeklagte weist den Vorwurf, den Lack von 27 Fahrzeugen vorsätzlich zerkratzt zu haben, weit von sich. Sie könne sich höchstens vorstellen, sagt die 28-Jährige, mit ihrer Handtasche versehentlich an den Autos entlanggeschrammt zu sein. "Was hätte ich denn davon, sie zu beschädigen?", fragt Corinna F., eine hochgewachsene, blonde Frau, die fahrig wirkt und fast jeden Satz mit einem knappen "Nä" beendet.

An jenem Tag war sie auf dem Weg nach Hause, in eine betreute Wohneinrichtung für drogenabhängige Mütter. Sie war hochschwanger, stand kurz vor der Geburt ihres zweiten Kindes. Drogenfrei sei sie gewesen, innerlich jedoch aufgewühlt, weil sie darüber nachdachte, ihr Baby zur Adoption freizugeben. "Ich war so verwirrt, da bin ich an der falschen Bushaltestelle ausgestiegen", sagt Corinna F. Als sie sich völlig erschöpft gegen ein Auto gelehnt habe, sei Thorsten S. auf sie zugelaufen, habe sie in den Schwitzkasten genommen und festgehalten, bis die Polizei kam.

Die Beweislage ist dünn - zu dünn. Die Aussage von Thorsten S. widerspricht seiner polizeilichen Vernehmung, ein Polizist vermag sich gar nicht mehr an den Fall zu erinnern, und sein Kollege kann nur berichten, dass die Position der Fahrzeuge und die genauen Schäden im Bericht nicht festgehalten wurden. Nicht einmal den Schlüsselbund - das vermeintliche Tatwerkzeug - stellten die Beamten sicher. "In dieser Angelegenheit", meint die Richterin süffisant, "waren die Berichte der Polizei nicht gerade von Präzision geprägt".

So bleiben derart gravierende Zweifel, dass die Staatsanwältin "in dubio pro reo" einen Freispruch fordert. Ein Freispruch erster Klasse wird es jedoch nicht: Die Richterin hält die Aussage von Thorsten S. für glaubwürdig und verurteilt die mehrfach vorbestrafte Angeklagte wegen Sachbeschädigung in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à acht Euro. Für die restlichen 25 zerkratzten Autos gilt: Täter unbekannt.