Die 20-jährige Melanie Kraefft wird früh sterben. Doch sie will studieren, eine Wohnung suchen und Urlaub machen - im Hospiz Sternenbrücke .

Hamburg. Es ist ein Haus voller Lachen. Ein Haus, in dem das Leben so spürbar ist wie an kaum einem anderen Ort der Stadt. Auch wenn der Tod unmittelbar vor der Tür steht. Und anklopfen kann. Jederzeit. Das Kinderhospiz Sternenbrücke ist ein Ort, an dem schwer kranke Kinder in ihren letzten Lebensmonaten umsorgt und medizinisch professionell betreut werden konnten. Jetzt können auch Jugendliche von 18 bis 27 Jahren im Hospiz neue Kraft tanken. Die Sternenbrücke hat angebaut. Heute eröffnet Gründerin Ute Nerge die neuen Räume und damit das erste Jugendhospiz in Norddeutschland. Damit schließt der Verein eine Lücke zwischen den bestehenden Kinder- und Erwachsenenhospizen. Knapp 19 Monate dauerte der Bau. Zusätzlich zum Spendenbedarf für die Kinderhospizarbeit mussten dafür 2,5 Millionen Euro eingeworben werden. In dem 1200 Quadratmeter großen Anbau wurden drei Gästezimmer geschaffen, die speziell auf die Bedürfnisse junger Menschen abgestimmt sind. Zudem gibt es im Erdgeschoss ein Zimmer für Musiktherapie sowie einen Bewegungsraum. Im ersten Stock sind Appartements für die Angehörigen entstanden.

"Wir sind froh und dankbar, dass wir jetzt auch unheilbar erkrankte junge Menschen bis zum 27. Lebensjahr und ihre Familien begleiten können", sagt Leiterin Ute Nerge. Derzeit betreut die Sternenbrücke rund 280 Familien. Viele von ihnen haben Kinder, die in den kommenden Jahren die für Kinderhospize geltende Altersschwelle von 18 Jahren überschreiten werden. Eine von ihnen ist Melanie Kraeft. Die junge Frau ist 20 Jahre alt und hat Spinale Muskelatrophie Typ 1. Die zweittödlichste Erbkrankheit nach Mukoviszidose. Melanie sitzt im Rollstuhl, kann nicht gehen, nicht stehen, die Arme nicht heben. Wenn ihre Mutter sie aus dem Rolli hebt, sackt Melanie wie eine Puppe zusammen. Schon als Baby konnte sie nicht krabbeln. Nie hat sie einen Schritt gemacht, nie konnte sie allein auf einem Stuhl sitzen. Ihre Wirbelsäule ist verkrümmt, die Gelenke sind schmerzhaft versteift. Irgendwann wird die Krankheit lebensbedrohliche Ausmaße annehmen. Der Herzmuskel wird schwinden, Brust-, Zwerchfell- und Bauchmuskulatur werden weniger werden.

Im Hospiz ist Melanie, das fröhliche Mädchen mit den langen, braunen Haaren und der frechen Stupsnase, eine von vielen. Das macht die Sache für sie leichter. Die Kinder, die hierher kommen, sind alle sterbenskrank. 28 Pflegekräfte, fünf Kinderärzte und 60 ehrenamtliche Helfer kümmern sich in der Rissener Villa um die unheilbar erkrankten Kinder und ihre Angehörigen. "Sie sind wie meine zweite Familie", sagt Melanie, die seit ihrem 14. Lebensjahr regelmäßig im Hospiz zu Gast ist. "Ich habe noch nie einen Ort gesehen, der so voller Leben, so voller Freude ist."

Und das, obwohl - oder gerade weil an diesem Ort alles ist. Das Leben und das Lebensende. Auch Melanie weiß, dass sie früh sterben wird. Sie weiß es seit ihrem sechsten Lebensjahr. Seit jenem Tag, als der Arzt in Anwesenheit des scheinbar schlafenden Mädchens zu ihren Eltern Petra und Wolfgang folgenden Satz sagte: "Ihre Tochter wird höchstens zwölf Jahre alt werden." Melanie ist heute 20 Jahre alt. Allen medizinischen Prognosen zum Trotz.

Sie lebt mit dem Wissen, dass jeder Tag ihr letzter sein könnte. Und gerade deshalb packt sie so viel es geht in jeden einzelnen Tag, jede einzelne Stunde. Sie macht ihr Abitur, will Jura studieren, sich mit ihrem Freund Alexander eine Wohnung suchen. Sie zeichnet, singt, liest und schreibt. Mehr als 250 Gramm kann sie mit ihren Händen jedoch nicht mehr halten. "Im Grunde sind sogar meine Hände zu schwer", sagt Melanie. In der Schule ist Betreuerin Steffi an ihrer Seite. Sie ist Hilfskraft und Freundin. Und Melanies rechte Hand.

Weil auch die Eltern mal eine Pause brauchen, besucht Melanie regelmäßig die Sternenbrücke. "Für mich ist das wie Urlaub", sagt sie. Neben der körperlichen Pflege für Melanie findet die Familie hier auch Herzenswärme und Trost. Denn auch der Tod, die Trauer und der Abschied gehören zum Alltag der Sternenbrücke. Melanie hat viele Kinder ins Hospiz kommen sehen. Sie hat Freunde verloren, Freunde gewonnen. Sie hat geweint. Um andere. Nicht aber um sich selbst. "Ich konnte ja immer wieder zurück nach Hause", sagt sie.

Im Sommer wird Melanie zum ersten Mal Gast im Jugendhospiz sein. Sie will ihren Freund mitbringen und "Urlaub machen", bevor es mit dem Studium losgeht. "Ich werde mich für ein Stipendium an der Bucerius Law School bewerben", sagt die junge Frau. Sie sagt das so selbstverständlich, als gäbe es diese unheilbare Krankheit in ihrem Leben nicht. Mit einer Kraft und Gelassenheit, die Außenstehende sprachlos macht, nimmt Melanie ihr Leben in die Hand. Ob sie mit anderen tauschen möchte? "Nein", sagt die junge Frau. "Warum sollte ich ein Leben hergeben, das mich so glücklich machen kann? Ganz gleich, wie lange es dauern wird, ich möchte es so gut nutzen wie nur möglich."