Liebe Chefredaktion,

mit Interesse habe ich den erschütternden Fall in der Kolumne des Leserbotschafters gelesen, den Ärger um den Umgang mit Verstorbenen. Dahinter wird viel mehr deutlich, es ist ein Spiegel, der uns alle reflektiert: Es geht um unser humanes Zusammenleben in unserer Gesellschaft, um den Generationskonflikt, um das Tabuthema Tod. Hier die jungen Leute, die genervt sind, wenn die Toten vor ihrem Fenster weggekarrt werden. Dort die Alten, die sich im wahrsten Sinne von uns, von dem irdischen Sein verabschieden. Wie soll man damit umgehen? Wie kann eine Zeitung wie das Abendblatt in diese Diskussion eintreten? Sicherlich, indem so ein Fall aufgegriffen wird. Und darüber hinaus?

Michael Abben, per E-Mail

Lieber Herr Abben,

herzlichen Dank für Ihre Zeilen - der Ärger von Anwohnern darüber, dass vor ihren Fenstern Verstorbene aus einem Altenheim weggebracht werden, ist auf den ersten Blick vordergründig. Tatsächlich hat er Tiefgang. Denn der Fall stößt eine Diskussion an, die notwendigerweise geführt werden muss in unserer Gesellschaft: Wie leben Jung und Alt zusammen? Es geht auch um den Umgang mit dem Tod.

Kernfrage ist doch: Warum tun wir uns so schwer damit? Schon in der deutschen Sprache stoßen wir auf viele Ausdrücke, die unsere Unsicherheit im Umgang mit dem Phänomen Tod dokumentieren: Die Vielfalt der Umschreibungen reicht von "entschlafen" bis "abberufen werden".

In unserem Fall hatten sich Anwohner über den Abtransport tagsüber von Verstorbenen in einem Altersheim beschwert. Die Toten heimlich abzutransportieren wäre würdelos. Der Tod ist unausweichlich, aber bis zum Lebensende versuchen viele Menschen, ihn zu verdrängen. Der Tod eines anonymen Menschen führt meist nicht dazu, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Erst wenn ein uns vertrauter Mensch stirbt oder uns der Tod eines Menschen wegen seiner persönlichen Umstände berührt, dann lassen viele die Gedanken ans Ende ganz nah an sich heran.

Oder: Wenn zum Beispiel Eltern ihr Kind grausam verhungern lassen, wenn ein Mann seine Frau ermordet, ein junger Mensch unerwartet verunglückt, dann fragen wir laut nach dem Warum.

Sie haben recht: Der Tod sollte generell kein Tabu sein. Es gibt Hospize, die sterbende Menschen auf würdige Weise in ihrem letzten Lebensabschnitt begleiten, ein guter Weg. Es ist keine Frage von Jung oder Alt, wie man mit dem Tod umgeht, nicht Ausdruck eines Generationskonflikts - es ist eine Frage der Einstellung eines jeden Einzelnen, ob nun Teenager oder Senior, und des eigenen Glaubens.

Sie fragen, was kann das Hamburger Abendblatt tun, um das Thema Tod aus der Tabuzone unserer Gesellschaft zu holen? Meine Antwort: immer wieder mal darüber berichten und dabei versuchen, Leser dafür zu sensibilisieren. Ein prominentes Beispiel, das die Nation bewegte, war der Freitod des Fußballtorwarts Robert Enke. Da war das Thema Tod plötzlich in aller Munde - und im öffentlichen Fokus. Und der mediale Umgang damit war Diskussionsstoff, auch für Journalisten. Wir haben ausführlich über alle Aspekte berichtet, seriös, nicht reißerisch. Und unsere Leser haben in ihren Briefen diese Diskussion lebhaft mitgeführt.

Herzlichst ,

Ihr Ralf Nehmzow