Internet und E-Mail, Handy und SMS, EC- und Kreditkarten: Können wir noch darauf verzichten? Ist das im Jahr 2010 überhaupt möglich? Abendblatt-Mitarbeiterin Michaela Klauer hat es ausprobiert. Sie lebte eine Woche ohne - und sammelte seltsame Erfahrungen.

Mittwoch, 1. Tag

Ich bin gerade auf dem Weg zur Arbeit, da bekomme ich die vorerst letzte SMS. "Viel Spaß in Deiner Welt 'out of order!'" So komme ich mir auch vor. Ich drücke den magischen Knopf, und mit einem leisen Piepton erlischt mein Handy-Display.

Für eine Woche lasse ich mich auf einen Selbstversuch ein: sieben Tage ohne - ohne Handy, ohne Internet und E-Mails, ohne EC- und Kreditkarten. Leben wie anno 1985. Mit der Unerreichbarkeit schwingt ein ungewohntes Gefühl mit. Mir fehlt nichts. So früh wird ohnehin niemand bemerken, dass ich mich aus der permanenten Dauerkommunikation zurückgezogen habe.

Der Tag vergeht wie jeder andere Arbeitstag auch. Für die Arbeit darf ich das Internet nutzen. Aber: private Zwecke ausgeschlossen! Zu Hause bin ich froh, noch einen Festnetzanschluss zu haben. Von dort telefoniere ich am Abend mit einigen Freunden. Manche haben Zweifel, halten den Selbstversuch für unrealistisch. Die meisten Reaktionen sind aber einhellig. Die Idee kommt gut an, eine spannende Geschichte. Würden sie selber darauf verzichten? Na ja, vielleicht auf die EC-Karte ...

Ausgerechnet meine Mutter ist skeptisch: "Was machst du denn, wenn du einen Unfall hast und wirklich mal telefonieren musst?" Gute Frage. Das werden wir dann ja sehen ...

Donnerstag, 2. Tag

Tag zwei beginnt mit einem herben Rückschlag. Abrupt fällt mir ein, dass ich mich nicht wie sonst in der S-Bahn hinter meine Kopfhörer zurückziehen kann, um in der Hektik des öffentlichen Nahverkehrs in Ruhe die Zeitung zu lesen. Ohne mein Handy habe ich auch keine Musik. Einen weiteren MP3-Player habe ich nicht. Ungeschützt stehe ich einer 30-minütigen Bahnfahrt in Hamburg gegenüber. Ich beobachte quasselnde Teenager, die so schnell aufeinander einreden, dass ich nicht mal erkenne, welche Sprache sie sprechen. Daneben hektische Anzugträger, denen ich wünsche, dass sie ihr Handy auch mal ausschalten können. Nach einer Weile schaue ich auf mein Handgelenk. Mist, keine Uhr um.

Neben mir spielt ein junger Mann via "App" auf seinem Smartphone ein so sinnloses Spiel, dass ich mich traue, ihn zu stören und nach der Uhrzeit zu fragen. Er ist damit beschäftigt, durch Drehbewegungen seines Handys, Papierkügelchen in einer simulierten Büroumgebung in einem Papierkorb zu versenken. Auf meine Frage hin drückt er verwirrt an seinem Smartphone herum. Dann endlich: "Kurz nach halb zehn." Zum Glück fragt er nicht, warum ich nicht einfach auf meinem Handy nachschaue.

Bei der Arbeit quält mich der Gedanke an die E-Mails. Das letzte Mal habe ich sie vor zwei Tagen gecheckt. Am letzten Abend vor dem Experiment. Ich habe nicht einmal alle beantwortet. Das E-Mail-Portal ist nur einen Klick entfernt. Ich würde doch nur mal schnell ... ich widerstehe. Es wird schon nichts an mir vorbeigehen, wenn es wichtig ist.

Am Abend will ich mich mit einer Freundin treffen. Keine SMS mit Uhrzeit und Treffpunkt, kein Anruf von irgendwo unterwegs. Vom Festnetz aus verabreden wir ein Treffen um 20.15 Uhr an der U-Bahn-Station Baumwall. Ich genieße es, das Gespräch nicht mit einem sinnfreien "wir telefonieren später noch mal" enden zu lassen. Ich komme viel zu früh an. Ohne HVV-Auskunft im Internet hatte ich leider keine Ahnung, wie lange ich brauchen würde. Ich warte. Eine Bahn nach der anderen rauscht an mir vorbei, ohne dass jemand aussteigt, den ich kenne. Um halb neun stolpert Antonia endlich aus der U-Bahn. Eine halbe Stunde Wartezeit! Ich vermisse mein Handy, obwohl es gar nichts an der Situation ändern könnte.

Freitag, 3. Tag

Fast schon Wochenende. Ich brauche Geld. Am Morgen prüfe ich in aller Eile die Öffnungszeiten meiner Haspa, die zum Glück auf dem Weg zur Redaktion liegt. Ich bin überrascht. Zwischen 9 und 16 Uhr ist durchgehend geöffnet. Machen die keine Mittagspause? Zwei Kundenberaterinnen erwarten mich. Ich erkläre, dass ich Bargeld brauche, meine EC-Karte aber nicht zum Einsatz kommen darf. Hilfsbereit steht man mir zur Seite. Die Kundenberaterin schwelgt in Erinnerungen: "Früher hatten die Menschen grundsätzlich mehr Bargeld bei sich. Meistens gingen sie nur ein- oder zweimal im Monat zur Bank", erklärt sie. Vorreiter der EC-Karte sei der Scheck gewesen. Ich bekomme einen Auszahlungsschein, den füllt sie mir sogar noch aus. Meinen Personalausweis braucht sie noch, und schon rattern 50 Euro in kleinen Scheinen aus einer Maschine. Ich bin begeistert.

Am Automaten hätte ich einen 50-Euro-Schein bekommen und mir beim Brötchenkauf ein missgünstiges "haben Sie es nicht kleiner?" anhören müssen. "Nein", hätte ich gesagt, "habe ich nicht, denn der Automat fragt nicht, wie ich es gerne hätte." Die freundliche Bankangestellte aber fragt. Ich wünsche mir 20er, Zehn- und Fünf-Euro-Scheine. "Ah, einmal die Hausmischung für Sie." Ich muss lachen. Bei Hausmischung denke ich eher an den Coffeeshop nebenan, bei dem ich mir bis hin zur Espressosorte so ziemlich alles aussuchen kann. Den Coffeeshop gab es früher nicht. Hausmischungen waren noch Bankensache. Am Abend ziehe ich mit Freunden und meinem neu gewonnenen Bargeld um die Häuser. Mein Handy vermisse ich gar nicht. Meine Aufmerksamkeit erhalten die Menschen um mich herum - und ihre Angewohnheiten. Mehr als zuvor achte ich darauf, wie oft sie auf ihr Handy schauen, es manchmal ganze 20 Minuten in der Hand halten, zum Telefonieren plötzlich aus der Bar rennen oder sogar nachts wie selbstverständlich E-Mails verschicken.

Sonnabend, 4. Tag

Das Wochenende! Darauf bin ich die ganze Zeit gespannt gewesen. Unter der Woche verbrachte ich die meiste Zeit am Arbeitsplatz, wo ich luxuriös mit Festnetz ausgestattet war. In der Nacht von Freitag auf Sonnabend übernachte ich bei Freunden. Ein leichter Kopfschmerz am Morgen erinnert mich an die letzte Weinschorle. Kurzerhand schlafe ich weiter. Als ich am Nachmittag wieder aufwache, denke ich - wie oft in den letzten drei Tagen - sofort an mein Mobiltelefon.

Normalerweise würde ich jetzt meinen Freunden schreiben. Die neuesten Gerüchte austauschen, Affären aufdecken, Klatsch und Tratsch von gestern Abend besprechen. Zwei Stunden später komme ich zum ersten Mal nach 24 Stunden wieder nach Hause. Das Festnetz-Telefon blinkt wie wild. Acht verpasste Anrufe. Ich rufe die erste Nummer zurück, ohne zu wissen, wer dahintersteckt. "Das nervt mich jetzt schon so derbe mit deinem blöden Handy. Wann ist diese furchtbare Woche um? Ich habe versucht, dich zu erreichen." Ich erkenne die Stimme meiner Freundin Steffi. Die gleiche Aussage beim nächsten Anruf. "Ich hab mir Sorgen gemacht", schreit mich Linda aus dem Hörer an.

"Entschuldige, es ist alles gut. Ich hab kein Handy im Moment", erkläre ich. Auf der anderen Seite legt sich so langsam der Ärger. Es ist eben doch alles nur eine Frage der Gewohnheit. Als ich spät am Abend ins Bett falle, würde ich am liebsten noch den Telefonstecker ziehen. Seitdem mein Handy aus ist, steht der Festnetz-Apparat kaum noch still.

Sonntag, 5. Tag

Sonntag - aber nicht frei. Ich jobbe im Coffeeshop. Handys sind da ohnehin nicht erlaubt. Als ich anschließend zum Sport will, scheitere ich gnadenlos an der Unerreichbarkeit. Ich spiele Handball, am Abend ist das erste Saisonspiel der Rückrunde.

Der Haken: Ohne Auto habe ich keine Chance, es rechzeitig zu schaffen. Während der Arbeit versuche ich vom Festnetz eine Fahrgemeinschaft zu organisieren - und wünschte, ich hätte mich früher darum gekümmert. Mein Versuch scheitert. Viel früher als gedacht bin ich zu Hause.

Ohne Handy und E-Mail hat sich die Zahl meiner Termine gefühlt um die Hälfte verringert. Plötzlich habe ich Zeit, Leerlauf, einfach nichts zu tun. Ich muss an meine virtuellen Netzwerke denken. Nur einmal kurz bei Facebook nachschauen - keine Chance. Als ich das letzte Mal nichts zu tun hatte, habe ich mir dort ein Aquarium angeschafft. Ein virtuelles Glasbecken, in dem ich für 15 Fische verantwortlich bin. Inklusive putzen und füttern. Wahrscheinlich ist das Ding schon verschimmelt, die Fische tot. Mein Mitgefühl hält nur kurzfristig an. Ich gehe schlafen. Jetzt kann ich denen auch nicht helfen.

Montag, 6. Tag

Der Tag ist schrecklich. Ich habe ernste Entzugserscheinungen. Nur meine EC-Karte fehlt mir nicht. Das Konto ist eh leer, und die 15 Euro im Portemonnaie müssen reichen. Am Vormittag klingelt das Telefon. "Ich habe Fotos von dir bei Facebook reingestellt. Richtig witzige Bilder vom Wochenende."

Die Nachricht verheißt nichts Gutes. Mir schwant Böses. Ich bekomme Angst, denn ich kann nicht einmal prüfen, in welchen unmöglichen Situationen mich die virtuelle Community ab jetzt sehen kann. Zum Glück können nur "Freunde" die Fotos abrufen. Der Tag verläuft entgegen meiner Erwartung. Ich habe gedacht, mich mit jedem weiteren Tag an die ungewohnte Situation zu gewöhnen, mehr Ruhe zu haben. Fehlanzeige!

Es wird immer schlimmer. Ein nervöses Gefühl macht sich breit. Was hat sich in den letzten Tagen ereignet und mich bisher nicht erreicht? Was wissen andere schon und ich nicht? Ich sehne den Mittwoch herbei.

Dienstag, 7. Tag

Ich fühle mich fernab von allem. Die Woche fühlt sich an wie die längste meines Lebens. Eine erschreckende Beobachtung mache ich an diesem Morgen: Telefonzellen. Als würde ich im Großstadtdschungel sonst nicht überleben können, suchen meine Blicke beim Warten auf den Bus eine Gelegenheit zum Telefonieren. Wo früher die gelben Telefonzellen standen, sind heute unscheinbare, dünne Säulen. Am Abend finde ich in meinem Briefkasten ausgerechnet Post von meinem Handyanbieter. Vertragsverlängerung! Na toll, die Kündigungsfrist habe ich verpasst.

Mittwoch, 8. Tag

Endlich! Heute wird das normalste zum Wichtigsten der Welt. Nach genau einer Woche nimmt mein Handy um elf Uhr wieder Fahrt auf - und kommt gar nicht mehr zur Ruhe. 42 verpasste Anrufe, 29 SMS.

Dort lese ich besorgte Texte. "Wo bist Du? Ich mache mir Sorgen", "Meld Dich!" oder "Ignorierst Du mich?". Mehr als 120 E-Mails belagern mein Postfach, aber nichts davon ist jetzt noch interessant. Die vielen Benachrichtigungen bei Facebook zeigen mir, was ich während der vergangenen sieben Tage eigentlich nicht verpasst habe.

Als nach zwei Stunden plötzlich mein Handy klingelt, erschrecke ich mich fast zu Tode. Auf einmal ist aber wieder alles wie vorher. Ich freue mich über jeden Anruf und jede SMS.

Fazit: Dem Kommunikationszirkus für eine Woche zu entfliehen war zu lange, um es angenehm zu finden, aber zu kurz, um mein Bewusstsein zu ändern. Alles eine Frage der Gewohnheit.

Abends verabrede ich mich zum Essen. Natürlich per SMS.